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Die Geliebte des Gelatiere

Die Geliebte des Gelatiere

Titel: Die Geliebte des Gelatiere
Autoren: Daniel Zahno
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über die Tanzfläche, auf der sich die ersten Pärchen eng aneinandergeschmiegt drehten. Kurz bevor ich bei ihr angelangt war, roch ich ihr Parfum, das mich benebelte und betäubte. Ich war drauf und dran, auf der Stelle stehen zu bleiben, mich umzudrehen und mir an der Bar ein Getränk zu holen.
    »Möchtest du mit mir tanzen?«, fragte ich Loredana, während ich sah, dass Michele und Elisabetta sich bereits auf der Tanzfläche drehten, steif und ohne die ungezwungene Ausgelassenheit anderer Pärchen.
    Ihre rechte Hand umfing krampfhaft ein Glas San Pellegrino, die linke hatte sie in die Hosentasche gesteckt. Gebannt starrte ich auf ihre Finger und die Flüssigkeit, in der ein Eiswürfel schwamm und immer kleiner wurde.
    »Nein«, sagte Loredana.
    Ich konnte es nicht fassen. Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
    »Nein?«
    »Nein.«
    Ich war erledigt. Alle Augen schienen auf mich gerichtet.
    Ich umklammerte mein Cola-Glas, während die Ballade von Fabrizio de André langsam verklang und sich einige Pärchen lösten, andere auf der Tanzfläche verharrten, um das nächste Lied abzuwarten. Zu ihnen gehörten Michele und Elisabetta – Michele schien außer sich vor Glück.
    Dann erklang eines meiner Lieblingsstücke von Ricchi e Poveri aus den Boxen. Vielleicht hatte mich Ramona beobachtet und wollte mich damit aufmuntern. Bei Michele hatte ich es schon so oft gehört, dass ich den Anfang auswendig kannte.
    Da ging Giuseppe, der schlaksige Sohn eines Zahnarztes, zu Loredana und forderte sie zum Tanzen auf. Ihre Augen leuchteten, sie schmiegte sich an seine Schulter. Hals über Kopf stürzte ich aus dem Partyraum, rannte die Treppen hoch, stürmte auf mein Zimmer, knallte die Tür zu und warf mich aufs Bett. Ich stand unter Schock. Ich war so erschüttert, dass ich nicht einmal weinen konnte. Etwas in mir war erloschen. Umgedreht. In den Boden gerammt.
    Vier Jahre, dachte ich immer wieder, vier Jahre, alles für die Katz, alles für die Katz! In den Sand gesetzt. Den Schlamm. Den Schlick. Merda! Und dieser verdammte Hurensohn mit seinem verfluchten Pickelgesicht! Mit Noemi wäre mir das nicht passiert. Nie. Ich warf mich in die Kissen. Von unten hörte ich Gelächter, fröhliches Geplauder und Un gelato al limon. Ich hörte, wie jemand an meine Tür klopfte. Aber ich machte nicht auf. Nie mehr würde ich aufmachen.
    3
    In den folgenden Sommerferien trieb ich von früh bis spät Sport. All meine Wut, meinen heiligen Zorn legte ich in meine Muskeln. Plötzlich war ich beim Laufen, beim Fußball, beim Rudern der Beste. Bei der »Regata Storica« gewann ich das Rennen der Junioren. Zum ersten Mal seit langer Zeit konnte ich richtig atmen, fühlte mich frei. Immer war ich das schwächliche, kränkliche Einzelkind gewesen, jetzt aber spürte ich zum ersten Mal meine Kraft. Niemand hatte mir etwas vorzuschreiben.
    Auf einen Schlag wurde mir bewusst, dass ich jahrelang auf dem Holzweg gewesen war. Ich staunte, dass ich mich in ein Mädchen wie Loredana hatte verlieben können. Im Grunde sagte sie mir überhaupt nicht zu, sie reizte mich körperlich nicht, ganz zu schweigen vom Austausch, der von Anfang an mühsam gewesen war. All die Jahre hatte ich gelitten. Dennoch hatte ich mich völlig auf sie fixiert. Ich wunderte mich über mich selbst. Jetzt sah ich Dutzende von Mädchen, die mir körperlich weit verführerischer schienen und mir auch von ihrer Art her weit mehr zusagten. Aber ich hielt mich zurück.
    Als die Schule nach den Ferien wieder losging, war ich über den Berg. Loredana interessierte mich nicht mehr. Ich beachtete sie kaum. Sie war mir egal, und auch ihre Schwester war mir egal.
    Dass aus Michele und Elisabetta kein Paar wurde, bedauerte ich. Dass auch die Sache zwischen Loredana und Giuseppe versandete, erfüllte mich mit einer gewissen Genugtuung. Manchmal, wenn sich eine der beiden zu Wort meldete, erschienen sie mir derart hilflos, spröde und bieder, dass ich sie fast schon bedauerte.
    Aber ich hatte andere Dinge im Kopf. Neben dem Sport las ich viel. Alles, was mir in die Hände fiel. Jede Woche ging ich in die Bibliothek und kam mit einem halben Dutzend Büchern zurück. Ich las die Novellen von Henry James, die Werke von Gozzi, Casanova, Mark Twain. Alles, was mit der Lagune zu tun hatte, aber auch Bücher über Amerika, Bildbände über New York, über Waschbären, über die Kojoten Kaliforniens oder die Sümpfe im Hudson Valley konnte ich kaum aus der Hand legen. Wenn ich in ihnen blätterte,
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