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Die Gelehrten der Scheibenwelt

Die Gelehrten der Scheibenwelt

Titel: Die Gelehrten der Scheibenwelt
Autoren: Terry Pratchett
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da, um eine Geschichte zu erzählen.
    Mit Magie kann man einen Prinzen in einen Frosch verwandeln. Mit Wissenschaft kann man einen Frosch in einen Doktor der Philosophie verwandeln – und behält den Frosch, mit dem man begonnen hat.
    Das ist die übliche Ansicht in bezug auf die Wissenschaft von Rundwelt. Allerdings bleibt dabei vieles unberücksichtigt, was die Wissenschaft eigentlich ausmacht. Sie existiert nicht in einem abstrakten Sinn. Man könnte das ganze Universum in seine Einzelteile zerlegen, ohne eine Spur von Wissenschaft zu finden. Bei der Wissenschaft handelt es sich um eine Struktur, die von Menschen geschaffen und entwickelt wurde. Menschen wählen Dinge, die sie interessieren oder für wichtig halten. Oft geht es in diesem Zusammenhang auch um ihre Phantasie.
    Narrativium ist überaus wirkungsvoll. Wir haben immer dazu geneigt, dem Universum Geschichten aufzuzwingen. Als die Menschen zum erstenmal zu den Sternen emporblickten, sahen sie keine unvorstellbar weit entfernten Sonnen, sondern riesige Stiere, Drachen und mythische Helden.
    Diese menschliche Eigenschaft nimmt keinen Einfluß auf die Beschaffenheit der Naturgesetze – zumindest keinen großen –, aber sie bestimmt, welche Naturgesetze wir überhaupt untersuchen möchten. Außerdem müssen die Naturgesetze des Universums imstande sein, all jene Dinge hervorzubringen, die wir beobachten, wodurch auch die Wissenschaft eine Art narrativen Imperativ bekommt. Menschen denken in Geschichten.* [ * Es dauerte drei Jahre, bis uns die Bedeutung dieses Satzes aufging. Dann schrieben wir Die Philosophen der Rundwelt: Mehr von den Gelehrten der Scheibenwelt. ] Zumindest in einem klassischen Sinn lief die Wissenschaft auf das Entdecken von ›Geschichten‹ hinaus. Man denke an Bücher mit Titeln wie Die Geschichte der Menschheit (The Story of Mankind), Die Abstammung des Menschen oder Stephen Hawkings Eine kurze Geschichte der Zeit.
    Unter den Geschichten der Wissenschaft könnte die Scheibenwelt eine sehr wichtige Funktion ausüben: Was wäre wenn? Die Scheibenwelt ermöglicht Gedankenexperimente: Wie sähe die Wissenschaft aus, wenn das Universum anders beschaffen wäre oder sich die Wissenschaft in einer anderen Richtung entwickelt hätte? Wir können die Wissenschaft von außen betrachten.
    Für einen Wissenschaftler besteht ein Gedankenexperiment aus einer Art geistigen Diskussion. Anschließend versteht man die Dinge so gut, daß man keine echten Experimente durchführen muß, was nicht nur Zeit und Geld spart, sondern einen auch davor bewahrt, peinliche Resultate zu erzielen. Auf der Scheibenwelt geht man praktischer an diese Sache heran. Dort geht es bei Gedankenexperimenten um Dinge, die nicht möglich sind und auch gar nicht funktionieren würden, wenn sie möglich wären. Das von uns geplante Gedankenexperiment ist vielen Wissenschaftlern vertraut, obwohl sie es vielleicht gar nicht wissen. Man braucht es auch gar nicht in die Praxis umzusetzen, denn es dreht sich ja gerade um etwas, das nicht funktionieren würde. Viele der wichtigsten Fragen der Wissenschaft – und unserer Auffassung von ihr – betreffen nicht die wahre Natur des Universums. Wir fragen uns vielmehr, was geschähe, wenn das Universum anders beschaffen wäre.
    Jemand fragt: »Warum bilden Zebras Herden?« Man könnte nach einer Antwort suchen, indem man Soziologie und Psychologie von Zebras untersucht. Oder man stellt eine ganz andere Frage: »Was geschieht, wenn sie keine Herden bilden?« Eine der offensichtlichsten Antworten lautet: »Dann wäre die Wahrscheinlichkeit viel größer, daß sie von Löwen gefressen werden.« Dies läßt sofort den Schluß zu, daß Zebras Herden bilden, um sich zu schützen. Wir haben eine wichtige Erkenntnis in Hinsicht auf Zebras gewonnen, indem wir die Möglichkeit in Erwägung zogen, daß sie sich anders verhalten.
    Ein weiteres und ernsteres Beispiel dafür bietet die Frage »Ist das Sonnensystem stabil?« oder »Könnte es sich dramatisch verändern, wenn es zu einer geringfügigen Störung käme?« Im Jahr 1887 bot der schwedische König Oskar II. 2500 Kronen für die Antwort. Hundert Jahre brauchten die Mathematiker der Erde, um eine eindeutige Antwort zu finden. Sie lautet: »Vielleicht.« (Es war eine gute Antwort, aber sie wurde nicht bezahlt. Das Geld hatte jemand bekommen, der es versäumte, die richtige Antwort zu liefern und dessen prämierter Artikel im interessantesten Abschnitt einen großen Fehler aufwies. Die Korrektur
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