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Die gelehrige Schuelerin

Die gelehrige Schuelerin

Titel: Die gelehrige Schuelerin
Autoren: Ira Miller
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neues Leben zu beginnen. Ich hatte alle Brücken hinter mir abgebrochen. Nur Annie hatte diese wichtigen letzten Wochen meines Lebens mit mir geteilt. Niemand außer Annie wusste, wie meine Tage aussahen. Niemand außer ihr konnte meine Gefühle verstehen, kannte meine Wohnung, meinen Beruf, meine Probleme. Jedenfalls war es mal so gewesen. Jetzt war es wohl eher so, dass auch sie nicht mehr in der Lage war, meine Empfindungen richtig zu verstehen. Meine Depression! Vielleicht hatte sie ja auch nie so viel von mir verstanden, wie ich es mir einbildete? Ob das so war? Vielleicht hatte ich auch von ihr nicht so viel begriffen, wie ich immer dachte? Ich war so sicher gewesen, dass sie mich liebte. Aber sie liebte jetzt einen anderen.
    Ich schwebte. Völlig abgehängt. Von niemandem gebraucht (und geliebt?). In den unendlichen Raum hinauskatapultiert und dort hängen gelassen – ein Nichts, das sich am Nichts festklammerte. Keine Rückkoppelung, keine Antworten, keine Reaktion, völlige Bedeutungslosigkeit.
    Wozu arbeiten?
    Wozu lieben?
    Zeit war nur eine nicht endenwollende Übelkeit.
    Ich aß. Ich schlief. Ich masturbierte. Ich verlor jegliches Gefühl für Zeit. Abend und Morgen waren für mich nicht mehr zu unterscheiden. Ich konnte genauso gut um drei Uhr nachts wie abends um sechs aufwachen. Stunden des Schlafens, Stunden des Sichgehenlassens. Dazwischen nichts. Keine Beherrschung. Kein Wertgefühl.
    Ab und zu ging ich unter die Dusche, zum Teil aus Langeweile, aber hauptsächlich, weil ich verschwitzt war und anfing zu stinken. Ich hörte auf, mich zu rasieren, und hatte bald einen schwarzen Urwald im Gesicht. Jeden Tag hatte ich dieselben ungewaschenen Jeans und denselben dreckigen Rollkragenpullover an. Keine Lust zu kochen, also ernährte ich mich von verschiedenen Schnellimbissen und bestellte Abendessen. Der Abfalleimer in der Küche lief über von fettigem, schmierigem Pappgeschirr und Einwickelpapier. Mein Bauch begann sich ballonartig über dem Jeansgürtel zu wölben. Ich schaltete den Fernsehsender nie um, sondern ließ mich nur durch die endlose Abfolge von Schnulzen – Quizshow – Talkshow –Werbung – Krimi –Filme – Nachrichten treiben.
    Und wichsen natürlich.
    Playboy,
ha! Dass ich nicht lache. Viel zu ästhetisch. Viel zu sauber. Wie Statuen im Museum. Ich brauchte knallharten Stoff.
    Den Anfang bildeten
Penthouse, Hustler, Oui, Club.
Ich riss mit unkontrollierten Händen die Seiten um und entdeckte in den Körpern keine Menschlichkeit mehr. Es gab nur noch für mich hergestellte Körperteile, mir zur Freude, Titten, die mit mir sprachen und mir befahlen zu wichsen, Löcher, die mich wegen meiner Unfähigkeit, in sie einzudringen, auslachten – obwohl ich wiederholt versuchte, sie unter meinen Bauch zu klemmen und den Akt nachzuahmen – rasierte Schambeine, vereiste Brustwarzen, dicke pflaumenrote Schamlippen, weit auseinander gespreizte Hautfetzen. Ich machte mir die Bilder real, um Erleichterung von all den Schmerzen zu finden, zu vergessen und tief in die innere Dunkelheit einzutauchen, die ich so lange unterdrückt hatte. Ich – der Lehrer, der Erzieher – konnte so niedrig und gemein sein, all das zu tun. Waren Männer wirklich so verrückt? Oder war ich es bloß?
    Dann brachten mir diese Männermagazine mit ihren Artikeln aus dem wahren Leben, ihren Ereignisberichten, ihren echten Interviews mit lebenden Persönlichkeiten, die sowieso niemand las, nicht mehr viel. Der Supermarkt, der die ganze Nacht über geöffnet war und dessen Geschäftsführer mir öfter das Essen herüberschickte, hatte leider auch keine schmutzigeren Sachen auf Lager.
    Ich zog mir meinen alten Columbo-Regenmantel über und ging auf die Straße. Von dem Licht geblendet, blinzelte ich wie ein Gefangener, der aus Dunkelhaft entlassen worden war. Ich stieg ins Auto und fuhr kreuz und quer durch Salem. Meine Handknöchel waren wieder abgeschwollen, so dass ich die Gänge einigermaßen einlegen konnte. Ich durchkreuzte das Glasscherbenviertel, vorbei an verlassenen alten Warenlagern, deren Fensterlöcher offen gähnten, über die Bahngleise auf die andere Seite der Straße, und fand dann eine belebte Hausfassade, an der eine große Leuchtreklame hing: BÜCHER NUR FÜR ERWACHSENE. Es wirkte, als ob nur reife Menschen dort ihre Geschäfte erledigten. Ich stieg aus dem Wagen, zog den Mantelkragen hoch und betrat den Laden. (Obwohl, wen kümmerte es hier schon, wer ich war. Ich spielte nur eine Rolle. Ich war eine
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