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Die Gejagte

Die Gejagte

Titel: Die Gejagte
Autoren: Lisa J. Smith
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vorneweg, das Bandana nur einen Schritt dahinter, und sie rannten wie die Hirsche, mit animalischer Anmut und effizienten Bewegungen. Schnell.
    Dabei hatte Jenny die Schachtel nicht einmal geworfen.
    Meine Finger … ich hab die Schachtel nicht geworfen, weil ich nicht loslassen konnte, weil meine Finger …
    Halt den Mund, befahl ihr Verstand. Wenn du schon so dumm bist, dass eine Schachtel dir wichtiger ist als dein eigenes Leben – schlimm genug, aber wir brauchen nicht auch noch auf dem Thema herumzureiten.
    Die Schachtel an die Brust gepresst, machte sie sich schnellen Schrittes auf den Heimweg.

    Sie drehte sich nicht einmal mehr um, um festzustellen, wieso sie vorher den Türknauf verfehlt hatte. In diesem Moment vergaß sie es einfach.
     
    Es war zehn vor acht, als Jenny endlich in ihre Straße einbog. Es sah gemütlich aus in den beleuchteten Wohnzimmern der Häuser, an denen sie draußen in der kalten Dunkelheit vorbeikam.
    Während des Heimwegs war langsam ein mulmiges Gefühl in ihr aufgestiegen, was das Spiel anging. Ihre Mutter sagte immer, sie sei zu impulsiv. Jetzt hatte sie dieses … Ding … gekauft, ohne zu wissen, was eigentlich darin war. Während sie darüber nachdachte, schien die Schachtel in ihren Armen leicht zu pulsieren, als sei sie machtvoll aufgeladen.
    Sei bitte nicht schon wieder so dumm. Es ist nur eine Schachtel.
    Aber diese Jungen waren gerannt, flüsterte eine Stimme in ihrem Hinterkopf. Diese Jungen hatten Angst gehabt .
    Sobald sie nach Hause kam, würde sie dieses Spiel untersuchen. Ganz genau untersuchen.
    Ein Wind war aufgekommen und fuhr durch die Baumkronen der Mariposa Street. Jenny wohnte in einem weitläufigen Haus im Landhausstil, das zwischen diesen Bäumen lag. Während sie näher kam, schlich sich etwas zur Haustür hinüber. Ein Schatten – ein kleiner, verstohlener Schatten.
    Jenny spürte ein Prickeln im Nacken.
    Dann wurde der Schatten vom Lichtkreis der Verandalampe
erfasst und verwandelte sich in die hässlichste Katze von ganz Amerika. Ihr Fell war fleckig, grau und cremefarben  – ein bisschen räudig, sagte Michael immer –, und ihr linkes Auge schielte dauerhaft. Jenny hatte sie vor einem Jahr aufgenommen, aber das Tier war immer noch wild und unbezähmbar.
    »Hi, Cosette«, sagte Jenny, lief zum Haus und tätschelte die Katze erleichtert. Puh, das Ganze hat mir wirklich so zugesetzt, dachte sie, dass mich jetzt schon jeder kleine Schatten erschreckt.
    Cosette legte die Ohren an und knurrte wie das besessene Mädchen in Der Exorzist. Aber sie biss nicht. Jenny wurde niemals von Tieren gebissen.
    Sobald sie durch die Haustür trat, schnupperte Jenny argwöhnisch. Sesamöl? Ihre Eltern wollten doch ins Wochenende aufbrechen. Wenn sie ihre Meinung geändert hatten …
    Beunruhigt ließ sie ihren Rucksack – und die weiße Schachtel – auf den Couchtisch im Wohnzimmer fallen und rannte zur Küche.
    »Endlich! Wir dachten schon, du würdest gar nicht mehr nach Hause kommen.«
    Jenny riss die Augen auf. Das Mädchen vor ihr trug eine Weste im Military-Look, saß auf der Küchentheke und hatte eins ihrer unglaublich langen Beine auf den hölzernen Esstisch von Jennys Mutter gestellt, während sie das andere herunterbaumeln ließ. Ihr Haar war so kurz geschoren, dass es wie ein Überzug aus schwarzem Samt wirkte.
Sie war so schön wie eine afrikanische Priesterin und sie grinste boshaft.
    »Dee …«, begann Jenny.
    Die andere Person in der Küche trug ein Jäckchen mit schwarz-weißem Hahnentrittmuster und Chanel-Ohrringe. Um sich herum hatte sie ein Meer an Utensilien und Zutaten ausgebreitet: Hackmesser und Kellen, Eier, eine Dose mit Bambussprossen, eine Flasche Reiswein. In dem Wok auf dem Herd zischelte bereits das Öl.
    »… und Audrey!«, sprach Jenny weiter. »Was macht ihr hier?«
    »Dir den Arsch retten«, antwortete Audrey gelassen.
    »Aber – ihr kocht!«
    »Natürlich. Warum sollte ich auch nicht kochen? Als Daddy nach Hongkong abkommandiert wurde, hatten wir einen Koch, der praktisch zur Familie gehörte; er hat Kantonesisch mit mir gesprochen, während Daddy arbeitete und Ma im Schönheitssalon war. Ich hab ihn geliebt. Natürlich kann ich kochen.«
    Während Audreys Erklärung schaute Jenny von einem Mädchen zum anderen. Dann brach sie kopfschüttelnd in Gelächter aus. Natürlich. Sie hätte sich denken können, dass sie diesen beiden nichts vormachen konnte. Hinter ihrer Fassade des Selbstvertrauens, was diese Party betraf,
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