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Die Gejagte

Die Gejagte

Titel: Die Gejagte
Autoren: Lisa J. Smith
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die sie in den Fingern spürte.
    »Wir schließen gleich«, sagte der Junge und schien seine Meinung erstaunlicherweise geändert zu haben. »Wirst du es kaufen?«
    Und ob. Sie wusste zwar ganz genau, dass jeder, der für irgendeine Schachtel Geld hinlegte, ohne einen Blick hineinzuwerfen, total verrückt sein musste – und genau das verdiente, was darin war, was immer es auch sein würde. Aber es kümmerte sie nicht. Sie wollte dieses Spiel. Und auf seltsame Weise widerstrebte es ihr, den Deckel einfach abzunehmen und hineinzuspähen. Was es auch war, das hier war auf jeden Fall eine großartige Story, die sie heute Abend Tom und den anderen erzählen konnte. »Mir ist heute was total Verrücktes passiert  … «

    »Wie viel?«, fragte sie.
    Er ging zur Theke und drückte auf eine Taste der antik aussehenden Messingkasse. »Sagen wir, zwanzig.«
    Jenny bezahlte. Sie bemerkte, dass die Kasse voller Geld war, seltsam fremdes Geld, das kunterbunt durcheinanderlag: eckige Münzen, Münzen mit einem Loch in der Mitte, zerknitterte pastellfarbene Scheine. Irgendetwas stimmte nicht an diesem Bild, und dieses Gefühl trübte ihre Freude über die Schachtel ein wenig; sie fröstelte erneut, als liefen Spinnen über ihre Gänsehaut.
    Als sie aufschaute, lächelte der Junge sie an.
    »Viel Spaß damit«, sagte er und senkte seine schweren Wimpern, als habe er insgeheim einen Scherz gemacht.
    Von irgendwoher ertönten zwei klare, süße Glockenschläge einer Uhr, die die halbe Stunde anzeigten. Jenny sah auf ihre Armbanduhr und erstarrte.
    Halb acht – das konnte nicht sein! Wie hatte sie über eine Stunde in diesem Laden sein können?
    »Danke, ich muss gehen«, stieß sie geistesabwesend hervor und ging zur Tür. »Ähm … bis dann.«
    Es war eine bloße Höflichkeitsfloskel und sie erwartete keine Antwort. Aber sie bekam eine. Er murmelte etwas, das klang wie »Um neun«, das aber zweifellos »Wie schön« heißen musste oder etwas in der Art.
    Als sie sich noch einmal umsah, stand er halb im Dunkeln, und das Buntglas einer der Lampen warf blaue und rote und purpurne Streifen auf sein Haar. Für eine Sekunde huschte etwas in seine Augen – ein hungriger Ausdruck.
Ein Ausdruck, der so gar nicht zu der Gleichgültigkeit passte, die er während ihres Gesprächs an den Tag gelegt hatte. Wie … ein ausgehungerter Tiger, der sich für die Jagd bereitmachte. Vor Schreck brachte Jenny nicht einmal mehr ein »Auf Wiedersehen« heraus.
    Dann war es auch schon vorbei. Der Junge in Schwarz beugte sich vor und schaltete den Gettoblaster wieder ein.
    Erstaunliche Schalldämmung, dachte Jenny, als sie die Tür hinter sich schloss und der Acid-House-Beat abrupt verstummte. Sie schüttelte sich innerlich und versuchte, das Bild dieser blauen Augen zu vertreiben. Wenn sie jetzt den ganzen Weg bis nach Hause rannte, hatte sie vielleicht gerade noch genug Zeit, um ein paar Snacks in die Mikrowelle zu werfen und Musik aufzulegen. Oh Gott, was für ein Tag! In diesem Moment sah sie die beiden Typen vom Hinweg.
    Sie hatten auf der anderen Straßenseite auf sie gewartet und lösten sich jetzt aus dem blaugrauen Schatten der Abenddämmerung. Sie kamen auf sie zu und Jennys Magen begann zu flattern. Instinktiv trat sie einen Schritt zurück und griff nach dem Türknauf hinter sich. Aber wo war er, verdammt? Und warum, um Himmels Willen, war sie heute nur so dumm? Sie hätte den Jungen in Schwarz fragen sollen, ob sie das Telefon benutzen durfte; sie hätte Tom anrufen sollen – oder Dee. Wo war der Türknauf?
    Die beiden Typen waren bereits nah genug, um zu erkennen, dass der junge Kerl im Flanellhemd ziemlich schlechte Haut hatte. Und der mit dem Bandana hatte ein äußerst
gruseliges Grinsen drauf. Sie kamen immer weiter auf sie zu und wo war der verdammte Türknauf? Alles, was sie hinter sich spüren konnte, war der kühle, bemalte Beton.
    Wo ist er wo ist er wo ist er …
    Wirf ihnen einfach die Schachtel hin, dachte sie plötzlich ganz ruhig und klar. Wirf sie ihnen hin und renn los. Vielleicht werden sie innehalten, um sich die Schachtel anzusehen. Ihr Verstand befahl ihrer Hand aufzuhören, nach einem Türknauf zu suchen, der nicht da war. Zeitverschwendung.
    Stattdessen hob sie mit beiden Händen die weiße Schachtel, um sie den Jungs entgegenzuwerfen. Was als Nächstes passierte, wusste sie nicht genau. Die beiden Typen starrten sie an, und dann … machten sie abrupt kehrt und rannten davon.
    Sie rannten. Das Flanellhemd
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