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Die geheime Welt der Frauen

Titel: Die geheime Welt der Frauen
Autoren: Ilana Stanger-Ross
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beobachtete stolz und erfreut, wie alle seinen Anweisungen folgten: die in Salzwasser getauchte Petersilie, das gekochte Ei, den Meerrettich, die gehackten Nüsse und das Obst aßen, vier Gläser Wein tranken, das Matzenbrot brachen und auf Drängen ihrer Kusine Millie die Augen schlossen, während Nate ein Stück versteckte - obwohl keiner daran dachte, es nach dem Mahl zu suchen. Ein Mahl der Symbole: verzweifelte Tränen und tiefe Bitterkeit, schwere Arbeit und die Hast der Flucht, aber gleichzeitig auch Fruchtbarkeit und Wiedergeburt, deren Sinnbild das Rund des Eis und das Grün der frischen Kräuter waren.
    Sima betrachtete die Szene und hoffte, sie prägte sich ihr ein: das Licht der Kerzen, das weiße Kreise auf das Tischtuch zeichnete, das Rot des Weins in den Gläsern, das Schimmern der leer gegessenen Teller (die zusammengeknüllten Servietten daneben) und Freunde um den Tisch, ein Fest, Frühling, das Gefühl der Wiedergeburt und des Neuanfangs.

    »Auf Wiedersehen, meine Schöne«, sagte Sima und löste sich aus der Umarmung, bevor sie die Gelegenheit hatte, sich festzuklammern, »alles Gute.« Sie trat in den Schatten der Veranda zurück und hoffte plötzlich, nach all der Angst, der Moment wäre vorbei - sie wollte vor Timna nicht weinen, sie musste einen lässigen Abschied hinkriegen, ein fröhliches Winken.

    »Auf Wiedersehen, Timna«, verabschiedete sich Lev und küsste sie schnell auf die Wange. »Lassen Sie von sich hören. Schreiben Sie uns, wir antworten.«
    »Hinterlassen Sie eine Adresse«, bat Sima. »Ein Hotel vielleicht in der nächsten Stadt, in der Sie sein werden?«
    Timna nickte und murmelte etwas über Los Angeles - Sima hörte kaum zu, sondern zählte nur rückwärts, bis sie die Türen schließen und umsinken konnte.
    »Richten Sie Alon unsere Grüße aus«, sagte Lev und brachte das Winken zustande, das Sima nicht geschafft hatte - sie hielt ihre leicht feuchten Hände vor sich gefaltet.
    »Ja, wir lassen ihn grüßen«, erklärte Sima, »und schicken Sie auch ein paar Fotos.«
    Timna drehte sich ein letztes Mal um und sah Sima an. Sima spürte den Blick in ihrem Leib, an ihren Knien. »Danke«, sagte Timna, und das Wort schwebte durch die Luft und hüllte Sima ein, sodass sich eine Wärme auf ihrer Haut ausbreitete und sie nicht wusste, wie sie »Gott schütze Sie« sagen sollte.
    Und dann drehte sich Timna um und ließ sie zurück.
    »Gute Reise!«, rief Lev.
    »Pass auf dich auf«, flüsterte Sima, während sie zusah, wie die Nacht Timna verschluckte. »Bleib gesund, lass es dir gut gehen.«
    Sobald Timna fort war, ging Sima ins Haus zurück und ließ Lev auf der Veranda stehen. Zum ersten Mal beachtete sie das Geschirr in der Küche nicht, das neben der Spüle aufgestapelt war, öffnete stattdessen die Tür zum Souterrain und stieg die Treppe hinunter.
    Also so fühlt sich das an, dachte sie, als sie sich hinter die Ladentheke setzte, das ist also die Leere, von der Frauen sprechen, wenn die Kinder erwachsen und aus dem Haus sind. Sie sah zu Timnas Stuhl hinüber, der unendlich verlassen wirkte, obwohl
sie sie ganz deutlich bei der Arbeit vor sich sehen konnte, mit den BHs, dem Rattern der Maschine, ihrem Lachen, wenn sie leichthin irgendwas sagte - irgendeine Geschichte, die Sima zum Lächeln brachte, einfach eine Stimme, die zu ihr sprach.
    Sie legte den Kopf auf den Ladentisch, einen Arm als Polster darunter, den anderen schützend darüber. Sie war allein in der Dunkelheit mit einer Leere in sich, die sie seit Jahren, seit Jahrzehnten nicht gespürt hatte: wie damals, als sie aus Träumen von Babys in einem stillen Haus aufgewacht war, das Gewicht des Kindes in ihren Armen ein Schmerz, den sie nicht stillen konnte. Diese junge Frau hatte einen Geist in ihren Leib gelockt, seinen Zorn in sich eingesperrt, weil sie es nicht schaffte, die Sehnsucht zu beherrschen. Sie dachte an all die Jahre, die sie sich zusammengerissen hatte, um dann so spät im Leben die Fassung zu verlieren - ein Witz, lächerlich.
    Sima streichelte über ihr Haar und wünschte, sie könnte das Haar dieser jungen Ehefrau streicheln, wünschte, sie könnte sie beruhigen, ihr vergeben, dieser verängstigten, traurigen Frau, die sie gewesen war, ihr Mut machen. Aber nach all den Jahren war die Berührung ebenso unmöglich wie unnötig - sie war früh hart geworden, und all die Zeit, die inzwischen vergangen war, hatte nur der Oberfläche Glanz verliehen. Sie vergrub den Kopf in den Armen und wimmerte wie ein
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