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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise
Autoren: Isabel Abedi
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starrte Wanja an, während die atemlos die Seite zurückschlug. »Viel Lärm um nichts«, stand da in großen schwarzen Lettern, darunter ein Bild von zwei Schauspielern auf einer Bühne und dazu ein langer Artikel. Sonst nichts.
    Wanja blätterte wie wild in den Seiten herum. 4,7 Millionen Arbeitslose, 3 : 0 für Bayern München, Entwarnung für die Hühnerpest, aber nichts, nichts, nichts war rot.
    »Der Rahmen, Jo, der Titel, die Schrift, alles rot, Mann, hast du das denn nicht gesehen, das hast du doch umgeblättert, das muss dir doch …« Die Worte schossen aus Wanja heraus wie aus einem geplatzten Wasserschlauch und Jo zog die Augenbrauen hoch.
    »Das ist nicht die BILD, sondern die FAZ, mein Kind. Da gibt es keine roten Schlagzeilen. Vielleicht ist dir ja die Tomatensoße zu Kopf gestiegen, aber ich würde jetzt gerne meinen Artikel zu Ende lesen.«
    Mit diesen Worten nahm Jo die Zeitung wieder an sich und Wanja sank zurück auf ihren Stuhl. Ihr Kopf drehte sich, aber ihr Bauch fühlte sich trotz der zwei Portionen Nudeln ganz leer an.
    Fassungslos starrte sie auf die Rückseite der Zeitung, hinter der Jo erneut verschwunden war. Aber von einem roten Rahmen war keine Spur zu sehen. Nicht auf dieser Seite, nicht auf der nächsten und auch nicht auf den folgenden, die Jo im Laufe der nächsten halben Stunde umblätterte.
    Schließlich stand Wanja auf und räumte mit mechanischen Handbewegungen den Tisch ab. Ohne Jos Gutenachtgruß zu erwidern, stieg sie die Treppe hoch in ihr Zimmer, legte sich ins Bett und starrte das Radio an. Um 23:44 Uhr, als Jo die Tür ihres Schlafzimmers hinter sich schloss, stand Wanja auf und schlich in die Küche.
    Die Zeitung lag noch auf dem Tisch. Wanja faltete sie auseinander und fing an zu blättern. Verdammt, verdammt, verdammt, sie war doch nicht blöd im Kopf!
    Fieberhaft durchwühlte sie die Seiten, den Sportteil, den Wirtschaftsteil, die Seiten mit den Immobilien, Nachrichten aus aller Welt, Kultur … da, die Seite mit der Theateraufführung.
    Die schwarze Überschrift war immer noch da, auch das Bild der beiden Schauspieler und der begleitende Artikel – doch in seiner Mitte leuchtete jetzt wieder rot und unverkennbar: der Rahmen.
    In Wanjas Brust löste sich etwas. Wie eine Brausetablette, die in einem Wasserglas aufsprudelt, breitete sich in Wanjas Innerem ein Kribbeln aus.
    VATERBILDER. Nach 100 Jahren Pause zeigt der Hüter der Bilder noch einmal diese einzigartige Ausstellung. Zum ersten Besuchstag finde dich am Donnerstag, den 24. Mai, um 15:00 Uhr bei der roten Tür, Abteilung Alte Meister, in der Kunsthalle ein. Erscheine pünktlich und ohne Begleitung.
    Wanja schaltete das Licht in der Küche aus und setzte sich wieder an den Tisch. Ihre Hand lag auf der Zeitung, ihre nackten Füße berührten den kühlen Küchenboden. Lange saß sie so, umgeben von Nacht und Stille. Der Mond, der durch das Küchenfenster leuchtete, würde in wenigen Tagen voll sein. In wenigen Tagen war der 24. Mai und Wanja fiel ein, dass an diesem Feiertag nicht nur Christi Himmelfahrt, sondern auch noch etwas anderes gefeiert wurde. Donnerstag, der 24. Mai, war Vatertag.
D IE ROTE T ÜR
    U nd was macht ihr? Wanja, hallo, schläfst du seit neustem im Stehen oder bist du auf Traumreise?«
    Wanja zuckte zusammen und starrte in Sues halb verwundertes, halb spöttisches Gesicht. Sie brauchte wirklich eine Weile, um aus ihren Gedanken aufzutauchen, die immer noch um die Kunsthalle kreisten, zu der sie gestern gefahren war, morgens, noch vor der Schule. Sie hatte nachsehen wollen, ob da die Vaterbilder angekündigt waren, obwohl sie insgeheim bereits vermutet hatte, dass sie da nichts finden würde. Und so war es auch gewesen. Weiblichkeit im Surrealismus lautete die aktuelle Ausstellung, von der auch Jo und Flora schon gesprochen hatten. Auf dem Weg die Außentreppe hinunter hatte Wanja versehentlich ein Mädchen angerempelt.
    »Kannst du nicht aufpassen, blöde Kuh?!« Das Mädchen war umgeknickt und hatte sich gerade noch am Treppengeländer festhalten können. Ihr langes Haar war zu unzähligen Afrozöpfen geflochten, ihre Haut war dunkel und aus ihren schwarzen Augen hatte sie Wanja wütend angefunkelt, bevor sie an ihr vorbei die Treppe zum Eingang hochgeschossen war.
    »Ob ihr morgen auch was macht, hab ich gefragt. Oder hast du dir ein Zimmer im Traumland reserviert?« Sue grinste noch immer, Tina kicherte und Britta kam Wanja mit ihren Vatertagsplänen zuvor.
    »Mein Paps fährt mit uns zum
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