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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise
Autoren: Isabel Abedi
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Britta hinter ihrem Rücken die Augen verdrehte.
    »Jimbo«, sagte Sue und fügte so beiläufig wie möglich hinzu: »Der dreht jetzt in Hollywood. Hat meine Schwester mir erzählt. In einem Film mit Brad Pitt und Jennifer Lopez.«
    »In echt?« Tina quollen fast die Augen aus dem Kopf. »Was für eine Rolle spielt er denn?«
Bevor Sue etwas antworten konnte, schlug Britta vor: »Da die männliche Hauptrolle ja bereits belegt ist, vielleicht den Toilettenmann?«
Sue warf ihr einen wütenden Blick zu und Wanja stieß Britta grinsend in die Seite. In Situationen wie diesen fand sie den beißenden Humor ihrer Freundin einfach klasse, auch wenn der Neid dahinter offensichtlich war. Gegen Sues Große-Schwester-Geschichten kamen Brittas Berichte aus der väterlichen Zahnarztpraxis nicht an.
»Guckt mal, der schon wieder.« Sue deutete mit dem Kopf zu der Ecke mit den Fahrradständern. Am Pfosten lehnte der Neue aus der 9a. Er war vor kurzem auf Wanjas Gesamtschule übergewechselt, weil er Gerüchten zufolge von einer anderen Schule geflogen war. Seine dünnen Beine steckten in zu kurzen, reichlich verschlissenen Hosen, seine schwarze Cordjacke war am Ellenbogen durchlöchert und seine dunkelbraunen Haare sahen filzig und ungekämmt aus. Das einzig Strahlende an ihm waren seine eisblauen Augen, die jetzt zu den vier Mädchen herüberblitzten, als hätte er ihre Blicke von weitem gespürt.
»Voll der Penner«, sagte Britta und schüttelte sich angewidert. »Mischa irgendwas heißt der. Sein Vater säuft, hab ich gehört, und seine Mutter ist krank im Kopf oder so was.«
»Buäh, stellt euch vor, ihr müsst neben dem in der Klasse sitzen.« Sue steckte sich den Zeigefinger in den Mund und rollte mit den Augen. Britta grinste und Tina bekam einen ihrer Kicheranfälle, wobei ihre käsige Gesichtsfarbe blitzschnell in das Rot einer überreifen Strauchtomate wechselte.
Wanja hatte sich instinktiv zwei Schritte von den drei anderen entfernt. Blöd, einfach obersaublöd fand sie dieses Zickengequatsche.
Aus den Augenwinkeln sah sie zu dem Jungen hinüber, wie er am Pfosten lehnte, die Hände in den Taschen seiner Jacke, träge und wach zugleich. Auch die eisblauen Augen blitzten noch mal in ihre Richtung, aber nur für eine Sekunde, dann wandte sich der Junge ab und schlenderte zum Seiteneingang, als hätte er den kurz darauf folgenden Gong zur dritten Stunde bereits vorausgeahnt.
Nach der Schule ging Wanja allein nach Hause. Tina, Sue und Britta hatten sich fürs Shoppingcenter verabredet, aber Wanja hatte keine Lust. Es langweilte sie, da rumzuhängen und die Auslagen in den Schaufenstern zu kommentieren. Außerdem drifteten ihre Gedanken immer wieder zu der sonderbaren Mitternachtsnachricht im Radio ab. Noch mal und noch mal spulten sich die Worte der Frauenstimme in Wanjas Hinterkopf ab und die Frage, ob sie das alles nicht vielleicht doch geträumt hatte, nagte dabei immer quälender an ihr.
    Als Jo von der Arbeit kam, hatte Wanja das Abendessen vorbereitet. Nudeln mit Tomatensoße und dazu Gurken und rote Paprika in Streifen geschnitten. »Ach, Knupselhuhn, ich danke dir«, seufzte Jo, nachdem sie sich mit einer müden Bewegung die graue Jacke von den Schultern gestreift hatte.
    Ihre orangerote Wochenendlaune war eindeutig verflogen. Jo hatte Stress hoch zehn gehabt, wie sie verkündete, und nachdem sie sich abwesend nach Wanjas Tag erkundigt hatte, verschwand sie hinter der aufgeschlagenen Tageszeitung. Der Weltbankrott, Die Börse im Tal, Das Leben nach der PISA-Studie.
    Wanja holte sich Schröder auf den Schoß und kraulte seinen Nacken, als Jo die Zeitung in der Mitte zusammenfaltete und ihr eine neue Rückseite zudrehte.
    Es gibt Momente, in denen unsere Gefühle schneller reagieren als unser Bewusstsein. Dies war ein solcher Moment.
    Wanjas Herz fing an zu rasen, so abrupt, als sei es dem Startschuss eines Olympiarennens gefolgt. Erst dann sah Wanja, was sie an dieser Zeitungsseite in solche Aufregung versetzte. Inmitten der schwarzen Druckschrift leuchtete ein roter Rahmen. Darin stand in gleichfalls rot leuchtenden Lettern der Titel: VATERBILDER.
    Wanja entfuhr ein Japsen, sie riss die Augen auf, beugte sich vor, doch noch bevor sie die Zeilen unter dem Titel erfassen konnte, blätterte Jo eine neue Seite darüber.
    »Halt mal!« Wanja sprang so unvermittelt vom Stuhl auf, dass Schröder zu Boden kugelte. Sie griff über den Tisch und riss Jo mit einem Ruck die Zeitung aus der Hand.
    »Sag mal, spinnst du?« Jo
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