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Die geheime Reise der Mariposa

Die geheime Reise der Mariposa

Titel: Die geheime Reise der Mariposa
Autoren: Antonia Michaelis
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du zur Isla Maldita schwimmst und herausfindest, was dort wirklich geschieht?«
    José ließ eine ganze Weile verstreichen, ehe er antwortete. Eine Idee hatte begonnen, sich in seinem Kopf zu formen, und er wartete, bis sie greifbar war. »Schwimmen«, sagte er schließlich, »werde ich nicht.«
    Am nächsten Morgen war Juan Casafloras Boot verschwunden. Und eine Menge Leute hatten eine Menge Theorien. Über Juan Casaflora hatten immer eine Menge Leute eine Menge Theorien gehabt. Es dauerte zwei Tage, bis Ben Miller eine eigene Theorie entwickelte. Und da war es vielleicht zu spät. Da war schon jemand dem Boot gefolgt, der eine ganz andere Theorie hatte als Ben.

Lied der Pinguine
    Wenn wir gehen, siehst du uns schwanken,
    als wären wir tief in Gedanken.
    So watscheln wir über die Hügel,
    unsre kurzen Stummelflügel
    sind nicht zum Fliegen gemacht.
    Ihr lacht!
    Nein, wir sind noch nie geflogen,
    doch dafür stets gut angezogen.
    Wir legen in Nester aus Stein
    ein einziges Ei hinein.
    Ein Ei voller Träume, ein Hirngespinst.
    Ihr grinst!
    Man fängt uns leicht, hier auf dem Land.
    Wir sind nicht schnell. Nicht elegant.
    Und doch tut mancher, als wäre er wer,
    und wedelt die Flügel hin und her
    wie ein feiner Herr, der sich Luft zufächelt.
    Ihr lächelt!
    Aber begegnet ihr uns im Meer,
    da sieht die Sache ganz anders aus!
    Im Meer sind wir nicht mehr träge und schwer,
    wir schwimmen mühelos weit, weit hinaus,
    wir tauchen so tief, wie kein Mensch es vermag,
    wir flitzen wie Pfeile die Küste entlang,
    hell wie die Strahlen der Sonne am Tag,
    schnell wie ihr Untergang.
    Wir lassen all unser Gewicht am Strand
    und unsre Melancholie an Land.
    Eben noch hier, sind wir schon dort,
    eben noch nah, sind wir schon fort.
    Ihr bleibt mit offenem Mund zurück.
    Ein Glück.

La grandeza del muerte
Die Großartigkeit des Todes
    E
s war, als hätte die Mariposa auf José gewartet. Er betrat sie leise, ungehört von den Besitzern der anderen Boote im Hafen. Niemand sah ihn.
    Unter Deck fand er mehrere große Kanister mit Trinkwasser und mit Benzin, einen Gaskocher und Dosen mit eingemachten Nahrungsmitteln. Juan Casaflora hatte sich auf eine lange Reise eingerichtet. Und er hatte, dachte José, eine noch längere angetreten: eine Reise zu einem Ort, den niemand kannte. Ins Jenseits. Er, José, hatte ein anderes Ziel: die Isla Maldita.
    Der Amerikaner, Ben, er hatte seine Worte nicht ernst gemeint, natürlich nicht. Er hatte sich über ihn lustig gemacht, genau wie sie alle. Bald würde sich niemand mehr über ihn lustig machen. Er würde es schaffen. Er würde zur Isla Maldita segeln, ganz allein, und für sie herausfinden, was dort vor sich ging. Und dann würde Ben sein Versprechen halten müssen. José würde fliegen.
    Er ging noch einmal zurück zu den Baracken, um seinen Rucksack und etwas Brot zu holen, rasch, rasch, leise, leise – alles war still dort. Er bemühte sich, das Gesicht seines schlafenden Vaters nicht zu lange anzusehen. Als er zum zweiten Mal in dieser Nacht auf das Deck der Mariposa sprang, schaukelte sie sacht, als wollte sie ihn begrüßen.
    »Gutes altes Mädchen«, flüsterte José, während er sich an der Reling entlangtastete. »Ich brauche dich, und du brauchst mich, denn ein Boot ohne Skipper ist ein totes Boot, tot wie dein Juan Casaflora.«
    José brauchte das Vorsegel der Mariposa nur auszurollen, ein Zug an der richtigen Leine und es entfaltete sich hell in der dunklen Nacht. Im Licht einer Streichholzflamme machte er die Leinen los und weckte das Schiff aus seinem Schlaf. Er kümmerte sich nicht ums Großsegel, das Vorsegel musste reichen, bis er genug Ruhe und Licht hatte, um sich mit den Tauen und Segeln, den Klemmen und Klampen und Rollen und Segeln der Mariposa vertraut zu machen. Soweit er es beurteilen konnte, war die Mariposa mit allem ausgestattet, was ein Schiff brauchte – allem außer einem Funkgerät. Aber er würde kein Funkgerät brauchen. Seine Reise war eine geheime, niemand brauchte davon zu wissen. Er steuerte die Mariposa mit einem Gefühl der Glückseligkeit durch die Nacht; geräuschlos glitt der schlanke Holzkörper an den anderen Schiffen vorbei, hinaus aus der schützenden Bucht, und dann brach der Himmel auf, und der Mond goss sein Licht ins Meer gleich Milch in Kaffee. Der Milchpazifik verfärbte sich unwirklich weiß wie im Traum. Erst ein gutes Stück vor der Küste von Baltra entzündete José die Bordlaternen, Grün und Rot für Steuerbord und Backbord, Weiß
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