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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus
Autoren: Judith Merkle Riley
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Verlobter mit seidenweicher Stimme, und Mutter nickte und lächelte ein blasses Lächeln. Während ich ein Schlückchen trank und die anderen sich zuprosteten, gab ich mich den herrlichsten Illusionen hin.

    In sechs Monaten kann sich unendlich viel ereignen, dachte ich, als ich den Giardino dei Pensieri auf dem großen Himmelbett auslegte, das ich mit meinen Schwestern teilte. Ach, hätte ich doch wie Pénélope eine unendliche Tapisserie, die ich nächtens wieder aufreifeln könnte, seufzte ich innerlich, während ich die Karten auslegte. Laß sehen, dachte ich, der Mai ist fast dahin, bleiben noch Juni, Juli, August, September, Oktober. Das ist eine ganze Ewigkeit. Außerdem machte nicht nur meine botanische Sammlung gute Fortschritte, sondern auch meine Zeichnungen von Flügelknochen verschiedener Vögel, mittels derer ich das Geheimnis des Fliegens entschlüsseln wollte.
    »Aha, das bist du, Laurette. Die Münzen-Vier. Das bedeutet Geld – mit etwas Geduld-, da bin ich mir sicher. Das müssen wir nicht einmal nachschlagen, das weiß ich aus dem Buch.« Unter dem Bett kaute und knirschte es genüßlich. Gargantua, groß von Körper, jedoch klein von Hirn, verspeiste einen Ochsenknochen. Als Jagdhund wie auch als Wachhund nutzlos, war er zum Schoßhündchen geboren, doch leider fraß und wuchs er unentwegt. Niemand wußte, wann er aufhören würde. Doch er war ein treu ergebenes Geschöpf, daher erlaubte Mutter nicht, daß Vater ihn abschaffte.
    »Ach, wie schön ist es, gebildet zu sein«, seufzte Françoise, die gerade erst zehn geworden war.
    »Haben dir die Nonnen das Kartenlegen beigebracht?« fragte Isabelle, sie war zwölf und hielt nichts von Nonnen.
    »O nein, Nonnen glauben nicht an Karten. Die sind im Kloster streng verboten. Aber schließlich wissen sie nicht alles, oder? Kuchen und Schoßkätzchen und Karten, alles findet den Weg ins Kloster.« Ich griff nach dem Kartenbuch und blätterte darin. »Dominique hat mir ihr Spiel geschenkt, als sie der Welt entsagte. Und Base Matheline hat mir letztes Jahr ihr Buch überlassen, als sie sich verheiratete. Ihr Mann hat nichts für Kartenlegen übrig.«
    »Ich habe sie zwei Tage vor unserem Umzug auf dem Weg zur Kathedrale gesehen«, verkündete Laurette, die mit ihren achtzehn Jahren die schönste unter uns Töchtern war. »Sie hat ein weißes, schmuckes Pferdchen geritten, und hinter ihr kam ein Stallbursche in Seidenlivree. Sie soll sich sehr reich verheiratet haben.«
    »Eine Dame redet niemals über Geld«, erwiderte ich. »Das zeugt von niedrigem Geist.«
    »Also wirklich, Schwesterlein, du hast einfach keinen Sinn für die Wirklichkeit«, widersprach Laurette. »Was kannst du schon ohne Geld anfangen: nicht einmal rumsitzen und in den Tag hinein träumen oder Verse kritzeln, was dir ja das liebste ist. Was mich betrifft, so bekenne ich mich lieber zu einem niedrigen Geist und verzichte auf die hehren Gefühle. Sag mir lieber, daß ich reich und Herrin eines großen Hauses sein werde, in dem ich zwei, nein, besser drei Bälle die Woche gebe. Und ich möchte Schmuck und Pferde haben, die mir ganz allein gehören.« Ich seufzte. Nicht nur, daß ich anders aussehe als meine Schwestern, ich will nicht einmal die gleichen Dinge haben. Schmuck ist hart und kalt, doch die Dichtkunst wärmt das Herz. Lieber möchte ich die Flamme der Inspiration in meinem Busen verspüren, als mit dem König höchstpersönlich zu tanzen.
    Man kann schwerlich die Qualen einer feinsinnigen Seele beschreiben, die in die völlig falsche Familie hineingeboren wurde. Und dabei hätte der Allmächtige durchaus Gewinn davon gehabt, wenn er mich in einer vornehmeren und mir entsprechenden Umgebung untergebracht hätte. Gern hätte ich meinen Platz als Älteste – Weinberg hin Weinberg her – geopfert, wenn ich als einzige Tochter eines adligen Philosophen oder eines Doktors der Theologie aus gutem Hause auf die Welt gekommen wäre, statt in der ausufernden Familie eines patriotischen Kriegers eine von vielen zu sein. Ja, die Gottheit war so großzügig hinsichtlich Verwandtschaft gewesen, daß die Ländereien meines Großvaters väterlicherseits unter so viele aufgeteilt wurden, daß keiner davon so leben konnte, wie es die Ehre und unser altehrwürdiger Name erforderten. Von dieser Seite hatte nur Tante Pauline Geld, und das war erheiratet, sie hatte Rang und Glück dafür geopfert. Seither war sie für Vater gestorben, doch erachtete er ihre milden Gaben aus dem »Grabe« weniger
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