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Die Geburt Europas im Mittelalter

Die Geburt Europas im Mittelalter

Titel: Die Geburt Europas im Mittelalter
Autoren: C.H.Beck
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Strukturen der römischen Welt und des Zusammenschlusses neuer Volksgruppen verleiht die Christianisierung dem Abendland im frühen Mittelalter einheitliche Züge. Vor allem nehmen die Bischöfe, die besonders bei der Verwaltung der Städte immer mehr Macht gewinnen, allenthalben eine führende Stellung ein. Von ihnen werden seit dem 7. Jahrhundert die übergeordneten Erzbischöfe unterschieden. Mit der Dotierung der Bischöfe wird das christliche Abendland in Territorien untergliedert, die im Wesentlichen den ehemaligen römischen Verwaltungsbezirken entsprechen und nunmehr Diözesen heißen.
    Neben den Bischöfen und Priestern tauchen aus dem Osten kommende Mönche als neue religiöse Persönlichkeiten auf. Die abendländischen Mönche waren trotz ihres Namens, der «Einsiedler» bedeutet, in der Regel keine Eremiten; sie waren Zönobiten, die gruppenweise in klösterlicher Abgeschiedenheit lebten, meistens fern der Städte und in mehr oder weniger einsamen Gegenden, vorwiegend Tälern oder Wäldern. Zwischen dem 4. und dem 8. Jahrhundert spielte das Mönchtum eine wesentliche Rolle bei der Christianisierung der heidnischen Bauern. Recht oft zogen diese Mönche als Wanderprediger durchs Land, in hervorstechender Weise die bereits erwähnten Iren, die ihr Apostolat im Osten Galliens und in Norditalien ausübten. Aber ihr Wirkungsfeld erstreckte sich über das ganze christlich gewordene Abendland.
    Auch religiöse Frauen fanden in dem neuen christlichen Raum zusammen. Ehe sie sich ihrerseits in Klöstern zusammenschlossen, zeichneten sie sich durch den Stand der Jungfräulichkeit aus. So verkörpern sie neue, züchtige Verhaltensweisen, die das Christentum im Allgemeinen kennzeichnen. Doch während sich Mönche und Jungfrauen meistens an die Keuschheitsregeln hielten, fühlten sich die Bischöfe und Priester noch nicht dem Zölibat verpflichtet.
Neue Helden: die Heiligen
    An der Spitze der neuen religiösen Bewegung bilden sich neue Helden heraus, ein Ersatz für die Helden der heidnischen Antike: die Heiligen. In der frühchristlichen Zeit hatte ihr Heldentum darin bestanden, dass sie ihr Leben für den Gott der Christen ließen. Sie waren Märtyrer. Aber mit der fortschreitenden Anerkennung des Christentums werden die Märtyrer seltener. Die vornehmsten Christen sind nunmehr Bekenner und werden in zunehmendem Maße Heilige genannt. Diesen Heiligen verspricht die Kirche ein besonderes Schicksal: Zum Lohn sollen sie ins Paradies eingehen – und auf Erden werden sie Gegenstand einer Heil bringenden Verehrung, ja sogar eines Erlöserkults. Dem orthodoxen Glauben gemäß kann nur Gott Wunder vollbringen; doch der Volksglaube spricht die Wunder den Heiligen zu. Diese Wunder ereignen sich an bestimmten Orten, vor allem an den Grabstätten der Heiligen. Bei der Berührung ihrer Körper werden die Christen durch diese «außergewöhnlichen Toten», von denen Peter Brown spricht, geheilt oder gerettet. Genau wie die Bischöfe gehören die Heiligen oft den oberen Schichten der romanisch-barbarischen Bevölkerungen an. Die Führungskräfte der neuen christlichen Gesellschaft stammen in der Tat häufig aus dem Adel. Gebildet, wie sie ist, nimmt die Aristokratie die Regierung in die Hand, indem sie eine neue christliche Elite stellt.
Ein neues Maß der Zeit
    Das Mönchtum hat die europäische Lebensweise besonders stark geprägt. Es hat die christliche Gesellschaft mit der Verwendung der Zeit vertraut gemacht. Tatsächlich rezitieren die Mönche regelmäßig gemeinsame Gebete, bei Tag und bei Nacht zu festgelegten Zeiten, den acht monastischen oder kanonischen Stunden. Man kann den Mönchen auch die Aufmerksamkeit der Christen für eine regelrechte Lehre der gesunden Lebensführung zuschreiben. Die von Mönchen und frommen Laien observierten Fastenvorschriften sind nicht nur ein Bußritual, sondern Maßnahmen, die genau wie der Aderlass der Gesundheit dienen. Der Kampf gegen Schlemmerei undverschwenderische Ernährung, die
gula
, hat trotz der Epidemien Mittel zur Regulierung der Maßlosigkeiten beim Essen und Trinken hervorgebracht. Schließlich führen die Mönche über ihre Ordensgemeinschaften hinaus einen neuen Lebensrhythmus ein: das Zusammenspiel und Alternieren zwischen Arbeit und Muße, zwischen Gebet und
otium
.
    Besonders deutlich tritt der Einfluss des Christentums im Bereich der Zeitmessung hervor. Obwohl sich das christliche Mittelalter am römischen Julianischen Kalender orientiert, tauchen wichtige Neuerungen
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