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Die Geburt Europas im Mittelalter

Die Geburt Europas im Mittelalter

Titel: Die Geburt Europas im Mittelalter
Autoren: C.H.Beck
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der Regel aber bescheidenes Stück Land, von dem sich eine einzige Familie ernähren kann.
    Die Geldwirtschaft geht zurück, während der Tausch wieder auflebt. Der Handel über weitere Entfernungen verschwindet fast vollständig, außer mit unerlässlichen Stoffen wie Salz.
    Nach und nach zeigen sich Tendenzen, den Niedergang der Städte zu bremsen, aber sie betreffen nur einige Zentren wie Tours, Reims, Lyon, Toulouse, Sevilla, Mainz, Mailand oder Ravenna, die Residenzen von Bischöfen und einigen mächtigen Oberhäuptern der Barbaren.
Königtümer und Gesetze der Barbaren
    Die beiden anderen Elemente, die eine Vereinheitlichung der von den Barbaren eingenommenen Welt begünstigen, sind politischer und rechtlicher Natur.
    An der Spitze der neuen politischen Gebilde tauchen Könige auf, die – von den Römern verabscheut – nur Stammesoberhäupter, Schattenkönige sind. Tatsächlich verfügen die angelsächsischen Könige, die fränkischen Könige ab Chlodwig, die Könige des Burgunderreichs, der Ostgoten (das Ansehen Theoderichs in Ravenna ist eine Ausnahme), Westgoten und Langobarden nur über begrenzte Macht, die sich mit dem Flitter des Römischen Reichs schmückt. Dennoch steht dem Königtum in Europa eine glänzende Zukunft bevor.
    Die von diesen Königen erlassenen Gesetze schließlich sindstark von barbarischen Sitten geprägt. Es handelt sich um Listen mit Tarifen, Bußen, monetären oder körperlichen Entschädigungen für Delikte und Verbrechen, wobei die Strafen je nach ethnischer Zugehörigkeit und gesellschaftlichem Rang der Schuldigen unterschiedlich ausfielen.
    Diese Gesetze dürfen nicht täuschen, sie sind sehr grob geschliffen. Das gilt sogar für das Edikt, das der Ostgote Theoderich der Große, der letzte wirkliche Erbe der römischen Tradition im Abendland, erließ. Es gilt vor allem für das unter Chlodwig auf Latein verfasste salische Gesetz der Franken. Die
Lex Gundobada
wurde zu Beginn des 6. Jahrhunderts von Gundobada verkündet, dem König der Burgunder. Die Rechtsgewohnheiten der Westgoten wurden zuerst von Eurich (466–484), dann von Leovigild (568–586) kodifiziert und von Reccesvinth (649–672) erneuert – eine Gesetzgebung, der sowohl Westgoten als auch Römer unterstellt wurden und die das
Brevarium
Alarichs (506) ablöste, das den
Codex Theodosianus
von 438 für die Römer vereinfacht hatte, genau wie die
Lex Romana Burgundionum
bei den Burgundern. Das für die Langobarden bestimmte Edikt König Rotharis (643) wurde von mehreren Nachfolgern erweitert. Die Franken schufen am Anfang des 8. Jahrhunderts eine
Lex Alamannorum
und in der Mitte des 8. Jahrhunderts eine
Lex Baiuvariorum
. Das
De correctione rusticorum
, ein Handbuch des hl. Martin, Erzbischof von Braga, legte ab 579 gemäß der Gesetzgebung der Konzilien und Synoden ein Programm zur Bekämpfung der rohen Bauernsitten im Norden des heutigen Portugal fest.
    Diese barbarische Gesetzgebung auf den Trümmern des römischen Rechts setzte im frühen Mittelalter trotz allem ein dem Recht verpflichtetes Europa fort.

II. Ein fehlgeborenes Europa: Die karolingische Welt
(8.–10. Jahrhundert)
    Die folgende Periode umfasst eine Episode, die oft als der erste große Versuch beschrieben worden ist, Europa zu bauen. Als Bauherr wird Karl der Große genannt, dessen kurzlebiges Reich der erste wirkliche Entwurf Europas gewesen sei.
    In diesem Fall, das muss betont werden, gäbe das Unternehmen Karls des Großen das erste Beispiel für ein fehlgeleitetes Europa ab. Seine Vision war in der Tat eine «nationalistische», sein Reich in erster Linie ein Frankenreich, gegründet auf einen wahrhaft patriotischen Geist. Um ein Beispiel zu nennen: Karl der Große hatte sogar ins Auge gefasst, den Kalendermonaten fränkische Namen zu geben. Dieser Aspekt wird von den Historikern selten zur Geltung gebracht. Es scheint mir wichtig, ihn hervorzuheben, weil es sich um den ersten aller gescheiterten Versuche handelt, ein Europa unter der Herrschaft eines Volkes oder eines Reichs zu bauen. Das Europa Karls V., das Europa Napoleons und das Europa Hitlers waren
de facto
anti-europäisch, und in den Bestrebungen Karls des Großen ist bereits etwas von diesen Plänen angelegt, die dem wahren Europagedanken widerstreben.
Der Aufstieg der Karolinger
    Der Aufstieg der Franken erfolgte in zwei Phasen: am Ende des 5. und während des 6. Jahrhunderts mit Chlodwig und seinen Söhnen, die sich das zwischenzeitlich immer wieder vereinigte Reich geteilt
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