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Die Geburt Europas im Mittelalter

Die Geburt Europas im Mittelalter

Titel: Die Geburt Europas im Mittelalter
Autoren: C.H.Beck
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trat das Erbe der Mönche an, die Englandevangelisiert und das Vermächtnis der antiken Kultur auf die Insel gebracht hatten. Auch Bedas Werk hatte enzyklopädischen Charakter und wurde im Mittelalter so viel gelesen und benutzt, dass man ihm den Titel Venerabilis verehrte und in ihm einen letzten Kirchenvater sah. Seine
Historia ecclesiastica gentis Anglorum,
eine Kirchengeschichte des englischen Volks, war der erste Versuch einer Nationalgeschichte, die König Alfred gegen Ende des 9. Jahrhunderts in die Umgangssprache übersetzen ließ. Höchst bemerkenswert für seine Zeit ist auch sein wissenschaftliches Werk, das sich an den kirchlichen Bedürfnissen der Komputistik oder Berechnung des liturgischen Kalenders orientiert. In
De temporibus
bemüht er sich, die Zeitmessung wissenschaftlich zu begründen. In
De temporum ratione
legt er nicht nur den Mechanismus der Gezeiten in Verbindung mit den Mondphasen dar, sondern liefert «die grundlegenden Elemente der Naturwissenschaften» schlechthin. Vor allem aber zeichnet Beda aus, dass er – wie im frühen Mittelalter die meisten angelsächsischen Gelehrten – der klassischen Kultur, die seine Geistesnahrung war, auch gern den Rücken kehrt. Er führt das Mittelalter auf einen unabhängigen Weg, der der Weg Europas sein wird.
Gregor der Große
    Der soeben dargestellten Gruppe von Gelehrten muss auch Papst Gregor der Große zugerechnet werden. Heute ist man gern bereit, bestimmte große Persönlichkeiten aus dem Mittelalter «Väter Europas» zu taufen, etwa den hl. Benedikt oder Karl den Großen. Was davon zu halten ist, werden wir später sehen. Fest steht, dass Gregor der Große nur selten in den Genuss dieses Titels gekommen ist, obwohl er ihn sicher mehr verdient als andere.
    Geboren um 540 und gestorben im Jahr 604, gehörte Gregor der Große einer römischen Patrizierfamilie an. Als Stadtpräfekt hatte er 573 sein Organisationstalent bei der Verproviantierung Roms unter Beweis gestellt. Von seinem väterlichen Erbe gründete er sechs Klöster in Sizilien und ein siebtes, in das er sich selbst zurückzog, auf dem Monte Celio in Rom. Papst Pelagius II. weihte ihn zum Diakon und schickte ihn als Apokrisiar,das heißt als ständigen Botschafter, nach Konstantinopel. Als er 590 während einer schweren Überschwemmung des Tiber und eines Ausbruchs der schwarzen Pest in Rom – es gibt auch ein Europa der Naturkatastrophen – wider Willen zum Papst gewählt wurde, organisierte er den materiellen und spirituellen Kampf gegen die Verderbnis. Aus Furcht, das Ende der Welt sei nahe, wollte er möglichst viele Christen in die Lage versetzen, vor dem Jüngsten Gericht zu bestehen. Das erklärt sowohl sein Eingreifen an weit entfernten Orten der Christenheit als auch die Abfassung allgemeiner Werke der Frömmigkeit. Er verteidigt Rom und den Kirchenbesitz in Italien gegen die Langobarden. Er schickt den Mönch Augustinus mit einer Gruppe von Missionaren zur erneuten Evangelisierung nach England. Und er zeigt den Christen zwei große Vorbilder auf, ein biblisches und ein modernes: zum einen Hiob, das biblische Beispiel der Gottergebenheit und des Glaubens in schwersten Prüfungen, mit dem Gregor sich in den
Moralia in Job
, einem moralischen Hiobskommentar, befasst; zum anderen den hl. Benedikt, dem er zu historischem Erfolg verhilft, indem er ihm das ganze zweite Buch seiner
Dialogi
widmet. Für die Geistlichen schreibt er ein Handbuch des Hirtenamts, das
Liber regulae pastoralis
; und schließlich reformiert er den liturgischen Gesang, der seitdem Gregorianischer Gesang genannt wird.
    Neben all diesen religiösen und kulturellen Aktivitäten vollzieht sich auf breiter Front, in den Kirchen, den Schulen, auch wenn sie nur einer Minderheit zugänglich sind, auf den großen Landgütern, eine Verschmelzung zwischen den Barbaren – zumeist Kelten oder Germanen – und den Latino-Europäern. Das Werkzeug dieser Vermischung ist das Christentum. Nach dem antiken Erbe bildet die Christianisierung die zweite entscheidende Schicht Europas.
    Die Akkulturation zwischen Barbaren und Römern hatte schon lange begonnen. Der Limes, bis zum 3. Jahrhundert eine militärisch gut gesicherte Grenze, war im kulturellen Bereich nicht undurchlässig gewesen. Tauschhandel und Geschenke, Kontakte und Begegnungen hatten die große Kulturvermischung eingeleitet, die sich trotz aller kriegerischen Auseinandersetzungen und Gewaltakte im Rahmen der so genannten Völkerwanderung vollzog. Wir müssen
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