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Die Gassen von Marseille

Die Gassen von Marseille

Titel: Die Gassen von Marseille
Autoren: Gilles Del Pappas
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Philippe angeht … Er hat seine Kündigung zurückgezogen. Er sagt …« Ich imitiere die Stimme und den hochtrabenden, belehrenden Tonfall meines Freundes: »›Die Welt braucht mich, und außerdem ist es das Einzige, was ich kann … Das vertreibt mir die Zeit‹ … Es vertreibt ihm die Zeit … Was für ein Beruf, um sich die Zeit zu vertreiben … Aber ich rede und rede und …«
    Ich halte einen Daumen an meine Lippen, um anzudeuten, dass ich durstig bin und gerne etwas gegen meine trockene Kehle tun würde.
    »Wir sollen jetzt einfach etwas trinken?«
    Ich drehe mich zu der jungen Kreolin um und deute anklagend mit dem Finger auf ihre stolzen, schwellenden Brüste.
    »Das ist deine Schuld … Der Junge hier stellt sich an wie einer, der mit dem Trinken aufhören will, und in solchen Fällen steckt meistens eine Braut dahinter. Hat sie vielleicht Angst, sein kleines Herz könnte Schaden nehmen? Nein, sie fürchtet eher, dass er irgendwann nicht mehr zu den täglichen sexuellen Höchstleistungen fähig ist, an die er sie gewöhnt hat … Aber Wein kann doch nicht schaden, denn, wie meine Großmutter immer zu sagen pflegte, da ist ja nur Wasser drin … hihihi.«
    Ich lache laut, um die Atmosphäre etwas zu entspannen.
    Juanita lächelt mich kühl an und klopft mit ihrem Zeigefinger auf meinen ausgestreckten Finger.
    Klopf, klopf, klopf …
    »Glaubst du, es tut dir gut, wenn du säufst wie ein Loch? Hast du eine Ahnung, was das mit deinen Herzkranzgefäßen anstellt? Darf ich dich darauf aufmerksam machen, dass mein Jean-Michel zehn Jahre älter ist als ich? Du kennst bestimmt die Statistiken. Ich will weder irgendwann allein dastehen noch einen bettlägerigen Alten pflegen … Aber warte nur, ich mache den Rosé auf, für dich bin ich ja nicht verantwortlich … Ungläubiger …«
    Die beiden calignaïres wärmen mein Herz, aber sie machen mir gleichzeitig meine eigene Einsamkeit bewusst … Seit dem Tod der Frau, die ich liebte und die mich aus dem Nichts herausgezogen hat, schleppe ich mich nur noch durchs Leben. Die beiden quasi miteinander verschmolzen zu sehen, wühlt mich sehr auf … Seltsam … Früher hat mich so etwas immer ein bisschen angewidert … Früher …
    »Es ist komisch«, gestehe ich. »Ehe ich Juliette begegnet bin, fand ich es immer lächerlich, so aneinanderzukleben … Miteinander zu verschmelzen … Sogar für Pärchen, die sich an der Hand hielten, hatte ich bloß ein hämisches Grinsen übrig … Völlig gepanzert, voller Vorurteile … Verliebte Gesten, diese ganzen kleinen Dinge, die ein Paar ausmachen … Ich habe mich darüber lustig gemacht! Das gebe ich zu … Und jetzt, wo sie … weg ist, bin ich viel sensibler …«
    Meine Freunde stehen Hand in Hand da und schauen mich mitleidig an. Das regt mich auf.
    »Glotzt nicht so. Ihr seht mich an, als hättet ihr einen Kranken vor euch … Ich bin längst wieder gesund!«
    Juanita wagt sich vor.
    »Es ist nur so, dass …«
    Ich falle ihr ins Wort.
    »Nein, heute Abend werde ich nicht mit euch Probleme wälzen … Ich lebe, und es geht mir gut. Ich trinke, ich esse, und …«
    Mir gehen die Worte aus, eine Spannung entsteht. Ich ertrage es nicht, wenn man sich in meine Angelegenheiten mischt … Auch und vor allem nicht meine Freunde …
    »Und was, Constantin?«, fragt Juanita sanft.
    Jean-Michel kommt ihr zu Hilfe.
    »Natürlich ist das deine Sache, Constantin, aber … Juanita will sagen, dass es auch noch etwas anderes gibt als Alkohol … Sie würde dir gern von Frauen erzählen, von girelles, Mädels, Bräuten. Wenn du vielleicht ab und zu weggehen würdest … Wir haben oft Freundinnen zu Besuch …«
    Er versucht es auf die humorvolle Tour.
    »Wenn du dich noch lange weigerst, mit anderen Frauen auszugehen, sind deine roustambofis bald …«
    Er zeigt auf seinen Hosenschlitz und deutet die vermutliche Größe meiner Hoden an.
    »Ich will doch nur, dass ihr mich endlich in Ruhe lasst«, antworte ich gereizt. »Gebt mir Zeit … Das muss alles langsam vernarben. Versteht ihr nicht, dass ich erst einmal wieder ruhig durchatmen muss?«
    Juanita greift nach meiner Hand. »Es ist jetzt fast zwei Jahre her, Constantin …«, sagt sie leise.
    Ich bin wütend. Abrupt schenke ich mir ein großes Glas Wein ein, leere es in einem Zug, und fülle es gleich wieder nach.
    »Und wenn es tausend Jahre dauert, ist das immer noch meine Sache … It’s my life!«
    Die junge Kreolin reißt mir die Flasche aus der Hand und wirft sie weit
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