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Die Gassen von Marseille

Die Gassen von Marseille

Titel: Die Gassen von Marseille
Autoren: Gilles Del Pappas
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mehr und tauche schon länger nicht mehr besonders tief … Nur die Ruhe … Nicht über das Warum nachdenken. Konzentrier dich auf dein Ziel … Ich versuche, unverkrampft und gleichmäßig zu schwimmen. Ich erkenne die dunkle Lücke, die auf die andere Seite führt. Ich stelle mir meine Freunde auf dem Engatseur vor, sie haben keine Ahnung, was hier los ist …
    Auf der Sonnenuntergangsseite ist die Insel sehr einsam. Niemand sieht, was hier passiert, es sei denn von einem Boot aus. Aber heute Abend ist niemand unterwegs. Abgesehen von den Totschlägern und unserem Tauchchampion.
    Was habe ich diesen Vollidioten überhaupt getan?
    Ich zwänge mich in das schwarze Loch. Hoffentlich ist es nicht verstopft … Es ist lange her, seit ich das letzte Mal durchgeschwommen bin, und ich habe etwas zugenommen … Als Jugendlicher habe ich mir oft einen Spaß daraus gemacht, meine Freundinnen zur Insel mitzunehmen und dann auf mysteriöse Weise zu verschwinden. Die Mädchen gerieten in Panik und dachten, ich wäre ertrunken. Doch dann kam ich nach einer Weile von der anderen Seite wieder angeschwommen und lachte darüber, dass ich der girelle solche Angst eingejagt hatte.
    Nicht sehr clever, fürchte ich, aber in dem Alter …
    Bis zur anderen Seite müssen es ungefähr vier Meter sein. Ich achte darauf, nicht an die Decke des Spalts gedrückt zu werden. Jetzt habe ich fast die Hälfte geschafft …
    Ganz ruhig, Constantin, du hast noch einiges vor dir …
    Teil dir den Sauerstoff ein.
    Langsam, die Arme, die Beine … Plötzlich streife ich die Decke der Höhle. Ich spüre, wie mein Rücken über die scharfkantigen Muscheln scheuert. Bloß keine Panik … Ich drehe mich um und stoße meinen Körper von der Wand ab. Er neigt dazu, sich festzusaugen, mit einem Stoß mache ich mich frei und schwimme weiter. Allmählich fängt es wirklich an wehzutun. Das Blut hämmert in meinen Schläfen.
    In diesem Moment wird es vorne heller … Der Ausgang, endlich.
    Über mir sehe ich Licht. Ich steige langsam auf und vermeide dabei jede hektische Bewegung.
    In diesem entscheidenden Moment darf man auf keinen Fall durchdrehen.
    Die Erlösung so dicht vor Augen, verlieren sogar die erfahrensten Taucher manchmal die Nerven. So langsam wie möglich lasse ich die wenige Luft entweichen, die noch in meinen Lungen verblieben ist – blubb, blubb, blubb –, dann schießt mein Kopf abrupt aus dem Wasser.
    Gierig atme ich den Sauerstoff ein.
    Uff! Das war knapp … Ich bin stolz auf mich, ich habe es geschafft! Verdammt, ist das ein gutes Gefühl, diese Luft zu atmen! Auch wenn sie ein bisschen muffig riecht …
    Um mich herum geht das Leben seinen gewohnten Gang.
    Vor meinen Augen schaukelt der Engatseur friedlich auf den sanften, abendlichen Wellen, als wäre nie etwas gewesen. Die krächzenden Möwen, die hier gabians genannt werden, fliegen pfeilschnell auf die Frioul-Inseln zurück, wo sie ihre Sommerquartiere haben.
    »Heiho, heiho, wir sind vergnügt und froh …«
    Ich höre den Außenborder meiner Angreifer. Schnell tauche ich unter und suche Schutz in einer Mulde des Inselchens. Die beiden Totschläger werden sich wohl fragen, wo ich abgeblieben bin. Hoffentlich vermuten sie, dass ich ertrunken bin. Hier fühle ich mich sicher, aber wenn sie um den Felsen herumkommen … Ich halte mich bereit, ein zweites Mal durch den Spalt zu tauchen.
    Deprimierende Vorstellung … Dazu habe ich nun wirklich keine Lust … Einmal ist ja noch in Ordnung, aber ich kann doch nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, ständig hin- und herzuschwimmen … Ich lausche … Es hört sich an, als würde das Motorengeräusch leiser.
    Ja, eindeutig … Es verschwindet.
    »Huhu, Constantin! Willst du auch einen Aperitif?«
    Juanita winkt mir vom Engatseur aus zu. Ich wedle mit dem Arm … Alles ist normal … Das Boot, die Dünung, die beiden Turteltäubchen, der Rosé, die gabians … Wie sagt man so schön? Das Leben geht weiter …
    Ich schwimme mit kräftigen Zügen auf den Pointu zu. Jean-Michel streckt eine Hand aus, um mir an Bord zu helfen. In Richtung der Sonne erkenne ich einen schwarzen Punkt, der in der Ferne verschwindet und dabei eine weiße Spur hinter sich herzieht …
    »Autsch, was hast du denn da gemacht? Mist, Constantin, du blutest ja!«
    Die Kratzer von den scharfen Muschelkanten sind nur leicht, aber da sich Dutzende davon über meinen Rücken ziehen, sieht es ziemlich beeindruckend aus. Während Juanita meine Wunden mit Mercurochrom
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