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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen
Autoren: Paul Harding
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In
einem lagen Mann und Frau unter dem blau und scharlachrot
gemusterten Baldachin ihres vierpfostigen Bettes
schweißglänzend in heftiger Umarmung. Ein silberner
Kandelaber auf rot-weiß gekacheltem Tisch erfüllte das
Zimmer mit goldenem Glanz, der sich in den kostbaren
Silberfäden der Wandbehänge und den auf dem Boden
verstreuten Gewändern aus Seide und Spitze
widerspiegelte.
    Im großen
Schlafgemach des Hausherrn Sir Thomas Springall brütete der
Mord in seinem gespenstischen Winkel. Sir Thomas erwartete ihn
nicht. O nein! Er mißachtete die Worte des Predigers:
»Inmitten des Lebens sind wir vom Tod umfangen.« Wie
der Reiche in der Heiligen Schrift wollte Springall seine alten Scheunen
niederreißen und neue errichten. Sir Thomas lag zwischen
seidenen, goldbefransten Laken und suhlte sich in seinem Reichtum.
Daß der alte König tot war, freute ihn. Ein kleiner
Junge trug jetzt die Krone.
    »Wehe dem Reich,
dessen König ein Kind ist!« flüsterte Sir Thomas
und lachte leise. »Gott sei Dank«, murmelte er dann.
Der Regent brauchte ihn, und er würde noch reicher werden,
denn er kannte Gaunts Geheimnisse. Sir Thomas leckte sich die
vollen roten Lippen. Er starrte in die Dunkelheit, zu dem Tisch
hinüber, wo die Syrer, seine kostbaren Schachfiguren, im
Mondlicht leuchteten, das durch das Flügelfenster
hereinschien. Er würde Zugang zu den Schatzkammern des
Königreiches bekommen. Und die Schlüssel zu so viel
Reichtum? Das Buch der Apokalypse, Kapitel 6, Vers 1. Und der
andere? Genesis 3, Vers 8. Springall lächelte, drehte sich auf
die Seite und betrachtete die kunstreich geschnitzten Bettpfosten.
Er dachte an seine Frau mit ihren kastanienbraunen Locken, der
goldenen Haut und den Augen, so blau wie der frische
Frühlingshimmel. Doch Springall verlangte es nach anderem
Fleisch. Er packte die Bettdecke, und in diesem Augenblick
wußte er, daß etwas nicht stimmte. Seine Hände
fuhren zu seiner Kehle, aber zu spät. Der Tod war
da.

Kapitel 1
    Bruder Athelstan
saß auf einem steinernen Sockel vor dem Lettner der Kirche
von St. Erconwald in Southwark. Verzweifelt starrte er zu dem Loch
im roten Ziegeldach hinauf und dann hinunter auf die schmutzige
Pfütze, die vor seinen Füßen auf dem Steinboden
schillerte. Er strich sich über das glattrasierte Gesicht und
schaute wütend auf das kleine Stück Pergament in seiner
Hand.
    »Weißt du,
Bonaventura«, murmelte er, »und das sage ich im Geiste
des Gehorsams - also wiederhole meine Worte nicht, sollte er je
herkommen -, aber die Bemerkungen des Pater Prior über meine
Vergangenheit haben geschmerzt wie Dornen.«
    Er faltete das
Pergament sorgfältig zu einem makellosen Quadrat und schob es
in die verschlissene Ledertasche an seinem Gürtel.
    »Ich tue
täglich Buße für meine Sünden«, fuhr er
fort. »Ich befolge streng die Regel des heiligen Dominikus
und verbringe, wie du weißt, Tag und Nacht mit der
Seelsorge.« Weiß Gott, dachte Athelstan, und seine
Füße tippten auf die Steinplatten, die Ernte der Seelen
war groß. Die dreckigen Gassen, die Kloaken voller Pisse und
die armseligen Hütten seiner Pfarrgemeinde beherbergten
gebrochene Menschen, die an Geist und Seele verletzt waren,
vergiftet von einer zermürbenden Armut. Die Fetten im Lande
kümmerte das einen Dreck; sie versteckten sich hinter leeren
Worten und falschen Versprechungen, und ihr Mangel an
Mitgefühl hätte sogar einen Herodes erröten lassen.
Athelstan schaute sich in der leeren Kirche um und betrachtete die
schmutzigen Wände, die abblätternden Säulen und das
Fresko des heiligen Johannes. Er grinste; er wußte, daß
der Täufer enthauptet worden war, aber doch nicht,
während er predigte! Jemand hatte das Gemälde
abgeschrubbt und dabei die Köpfe von Johannes und seinen
aufmerksamen Zuhörern verschwinden lassen.
    »Du hast mein
Haus gesehen, Bonaventura. Es ist nur ein gekalkter Schuppen mit
zwei Kammern, einer Holztür und einem Fenster, das nicht
schließt. Mein Pferd, Philomel, mag ein betagtes
Schlachtroß sein, aber es frißt, als gäbe es
morgen nichts mehr, und ist dabei nicht schneller als eine Katze
beim Spaziergang.« Er lächelte. »Ich will
Anwesende nicht beleidigen, aber es frißt mir die Börse
leer. Ich jammere ja nicht; ich erwähne diese Dinge nur, damit
wir unsere derzeitige Lage nicht vergessen und ich meinem Prior
erklären kann, wie unnötig seine väterliche Kritik
ist.« Seufzend ging Athelstan zu der kleinen Lesenische neben
dem Marienaltar, wo er seinen
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