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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen
Autoren: Ralf Isau
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Studienobjekt war bald gefunden.
    Pierre Te l lhard de Chardin, der etwas andere Jesuit, der möglicherweise bei der »Entdeckung« des Piltdown- und des Peking-Menschen eine sehr kreative Rolle gespielt hat, entwarf zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Konzept des »kosmischen Optimismus«, das er visionär wie folgt zusammenfasste:
     
    Ist die Evolution eine Theorie, ein System oder eine Hypothese? Sie ist noch viel mehr – nämlich ein allgemein gültiges Postulat, vor dem sich alle Theorien, alle Hypothesen, alle Systeme künftig beugen und dem sie genügen müssen, um als vorstellbar und wahr gelten zu können. Die Evolution ist ein Licht, dass alle Tatsachen erhellt, eine Bahn, der alle Gedankengänge folgen müssen – all das umfasst die Evolution. *
     
    Kurz gesagt, der Katholik Tellhard stellt uns die Evolution als Götzen vor, den allein wir anzubeten haben. Oder anders ausgedrückt: Er präsentierte sie uns als Diktatur des Denkens.
    Wenn die Evolution der Haken ist, an dem das ganze Netz unseres Daseins hängt, dann kann man wohl zu Recht von einem weit reichenden Gedankengebäude sprechen – sollte der Haken brechen, könnten wir viel, wenn nicht gar alles verlieren. Sofern auch nur der kleinste Zweifel bestünde, das »allgemein gültige Postulat« der Evolution könnte eine Luftnummer sein, wäre es ziemlich töricht, sich nicht noch irgendwo anders abzusichern.
    Das Terrain für mein Gedankenexperiment war damit abgesteckt. Aber wie konnte ich das Thema in eine literarische Form bringen? Wer interessiert sich schon für einen Roman über das Denken im Allgemeinen und die Evolutionskritik im Besonderen? Jahrelang schlummerte das Samenkorn in einem großen Sack voll Korn, der irgendwo auf dem Dachboden meines Bewusstseins abgestellt war.
    So unglaublich es klingen mag, aber eine Fernsehreportage über Lichtschutzfaktoren in Sonnenschutzmitteln brachte die Saat schließlich zum Keimen. Laut Professor Wolfgang Wuttke, Endokrinologe an der Universitätsklinik Göttingen, docken beim Menschen einige UV-Filter an den Rezeptor für weibliche Geschlechtshormone an. Dadurch wirken die Substanzen wie Östrogene. Millionen sonnenhungriger Touristen tragen diese ins Meer oder in die Binnengewässer. Schweizer Forscher haben die Auswirkungen solcher so genannten »hormonaktiven Stoffe« auf die dort lebende Fauna untersucht. Bei Männchen führen sie verstärkt zu Unfruchtbarkeit und Verweiblichung.
    Männchen, die zu Weibchen werden? Oder ein bisschen von beidem sind? Also Zwitter?
    So in etwa muss die Gedankenkette ausgesehen haben, die mich zu den Hermaphroditen führte; wie wenig die meisten Intersexuellen den Begriff »Zwitter« mögen, ist mir erst im Laufe meiner Recherchen klar geworden. Dabei stieß ich auch auf die Aussage, das »dritte Geschlecht« – die Hermaphroditen – sei der nächste Schritt der Evolution. Plötzlich fügte sich alles zusammen.
    Ich begann intensiver zu recherchieren, kaufte mir Darwins Entstehung der Arten und andere Fachbücher, auch und gerade solche, die vom so genannten Konsens der »Tatsache Evolution« abwichen. Und je tiefer ich mich in die Materie hineinfraß, desto zutreffender erschien mir Einstein Feststellung, wir seien von Galileis Zeit nicht so weit entfernt, wie wir gerne glauben möchten. Mir dräute, der rapide Wandel in der Wissenschaft vollzog sich fast ausschließlich auf der fachlichen Erkenntnisebene, jedoch kaum an den Umgangsformen zwischen den Vertretern der tonangebenden Klasse und den ungeliebten Querdenkern.
    Sehr schön kann man die archaischen Verhaltensweisen in der Verwendung stigmatisierender Begriffe erkennen. So ist es kaum möglich, die Postulate der Evolutionstheorie zu kritisieren, ohne ins fundamentalistisch-kreationistische Lager abgeschoben zu werden. Das jedoch ist eine unzulässige Verallgemeinerung. Wer die Erklärungsnotstände der Evolutionstheoretiker nicht widerspruchslos schluckt, ist keinesfalls automatisch ein religiöser Fanatiker. In einem Leserbrief an die Londoner Times vom 25. Mai 2005 schrieb der Biologe Milton Wainwright sinngemäß, viele seiner Kollegen nähmen die Theorie des Intelligent Design lediglich als Attacke gegen die Evolution wahr, nicht aber als ein Gedankengebäude, das sich im Wesentlichen mit dem – im Roman erläuterten – Anthropischen Prinzip deckt. Man solle derartige Überlegungen nicht allein deshalb verwerfen, weil sie unter anderem auch von Kreationisten übernommen wurden. Rationale Kritik
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