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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen
Autoren: Ralf Isau
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durch den Wind ist. Glaube mir, ich kenne das.«
    »Ich liebe dich, Alex.«
    Ihre Beine gaben nach, aber sie konnte nicht zusammensacken, weil Darwin sie festhielt. »W-wie… wie meinst du das?«, fragte sie unsicher.
    »Das ist ja das Malheur, ich weiß es nicht! Ich kann es dir nicht erklären. Als ich im Bart’s an deinem Bett gesessen und deine Hand gehalten habe, da kam Dr. Atkey, um dich zu besuchen. Weißt du, was er mir sagte?«
    »Nein«, erwiderte sie leise. Ihre Hände schlossen sich fester um Darwins Rücken. Es tat ihr unendlich gut, seine Wärme zu spüren.
    » › Mein lieber Freund ‹ , hat er gesagt. › Alex kann jede Liebe gebrauchen, die Sie ihr zu geben vermögen .‹ Ich weiß nicht, was für eine Liebe in mir steckt, aber ich darf dich nicht gehen lassen, bevor ich dir davon erzählt habe.«
    Alex gab ihren Widerstand auf. Sie fing an zu weinen. Kein lautes Schluchzen, kein Greinen, nur stille Tränen des Glücks rannen über ihre Wangen, während ihr Gesicht dicht neben dem seinen war.
    »Ich liebe dich auch, Darwin.«
    Er streichelte zärtlich ihren Rücken. »Das ist gut. Das kann nicht verkehrt sein.« Hörbar bemühte er sich um Festigkeit in der Stimme.
    »Ja, es ist gut«, seufzte sie.
    »Dann werden wir uns Wiedersehen?«, fragte er, als ob er dem Augenblick nicht traute.
    »Ganz bestimmt, Darwin. Irgendwann.«
    Ein langer Augenblick des Schweigens behütete ihre Umarmung. Dann erst lösten sie sich voneinander. Alex lächelte auf jene neue, befreite Art, die sich neuerdings ihrer bemächtigt hatte.
    »Weißt du, was ich am meisten an dir bewundere?«, fragte Darwin.
    »Sag’s mir«, forderte sie ihn auf.
    »Du haderst nicht mehr mit deinem Schicksal, so wie Theo und vermutlich auch viele deiner Geschwister es getan haben. Du akzeptierst dich so, wie du bist, und versuchst deinen eigenen Weg zu gehen.«
    »Ich habe noch eine weite Strecke vor mir.«
    »Heißt es nicht: › Der Weg ist das Ziel ‹ ? Wer hat das gesagt?«
    »Konfuzius.«
    Er schmunzelte. »Dich kann man wohl mit gar nichts in Verlegenheit bringen.«
    »Doch, Darwin. Mit sehr vielen Dingen. Aber ich fühle mich heute stärker als vor fünf Wochen. Das verdanke ich den Helfern, die mich bis hierher begleiteten: dir und deiner verrückten Schwester, Susan und sogar Theo. Er mag viel Böses in sich getragen haben, aber durch ihn weiß ich, dass es andere gibt wie mich. Ich fühle mich jetzt mehr denn je eins mit mir selbst, beiden Seiten zugehörig, wohl ausgewogen gemischt.«
    Sie lachte wie ein fröhliches kleines Mädchen.
    »Ich glaube, in keiner Sprache der Welt gibt es ein Wort für dieses besondere Empfinden. Vielleicht bin ich nicht das, was Gott sich vorgestellt hat, aber ich denke, wir beide können trotzdem gut miteinander auskommen.«
    »Davon bin ich überzeugt«, sagte Darwin.
    Sie sagten sich Lebewohl. Alex küsste ihn auf beide Wangen. Ohne weiter zu zögern, drehte sie sich um und lief die Straße hinab. Er sah ihr nach, bis sie in der Nacht verschwand.

 
    Nachwort des Verfassers
     
     
     
    »HÄUTUNGEN«
     
    Nach und nach
    die alten Häute abstreifen
    und mir selbst näher kommen
     
    die Masken fallen lassen
    die Fassaden einreißen
     
    keinen Schein mehr wahren
    keine Rollen mehr spielen
     
    bis ich mich gefunden habe
    bis ich bin, wer ich bin
     
    Wa s bleibt, mag kümmerlich wirken
    doch es ist massiv – und echt
     
    Nach und nach
     
     
    Stephan Krebs

Meine literarischen Projekte sind wie Samenkörner, die manchmal lange vor sich hin schlummern, bis sie schließlich auf ein fruchtbares Stückchen Bewusstseinsboden fallen und zu keimen beginnen. Auf keinen anderen meiner Romane trifft dies so sehr zu wie auf Die Galerie der Lügen. Bereits 1995 bewegte mich die Frage, ob in unserem westlichen, oft als fortschrittlich und aufgeklärt bezeichneten Kulturkreis die Ratio zu Recht zum Maß aller Dinge erhoben wird. Wie zuverlässig sind Vernunftschlüsse? Bis ins späte Mittelalter hinein glaubten die Menschen, die Erde sei eine Scheibe. Neuere Überlegungen wurden aufs Erbittertste bekämpft. Ohne Frage hielten viele unserer Altvorderen ihr Weltbild für alles andere als ein Hirngespinst, sondern vielmehr für das Produkt rationalen Denkens. Trotzdem irrten sie. Ich wollte herausfinden, ob es einen Punkt gibt, an dem das angehäufte Wissen vor weit reichenden Trugschlüssen immun macht. Um dieser Frage nachzugehen, brauchte ich zunächst eine weit reichende Weltanschauung. Das passende
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