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Die Fuenfzig vom Abendblatt

Die Fuenfzig vom Abendblatt

Titel: Die Fuenfzig vom Abendblatt
Autoren: Alfred Weidenmann
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Verlagsgebäude zurück, um seine zweite Tour anzutreten.
    Und jetzt erst, als sie wieder am Cafe Universal vorbeikamen, begegneten ihnen die ersten Jungen der Kolonne des Nachtexpreß. Es mochten etwa dreißig Fahrer beisammen sein, aber alle hatten sie noch ihre Zeitungen bei sich. An ihrer Spitze fuhr Bulle, der Chef der Nachtexpreß-Leute. Er hatte seine schwarze, glänzende Lederjacke an, und natürlich trug er den Kragen wie immer hochgeschlagen. Seiner Meinung nach war so ein hochgeschlagener Kragen ungeheuer schick. Eine ganze Reihe von Filmstars ließ sich laufend auch mit hochgeschlagenem Kragen fotografieren. Mit aufreizend freundlichem Grinsen zog Alibaba seine Mütze, als er jetzt mit Bulle auf gleicher Höhe war. Der Blick, der als Antwort zurückkam, war weniger vergnügt. Und gerade das freute den Boß der Abendblatt-Jungen mehr, als wenn ihm jetzt unerwartet jemand eine Freikarte für eine Galavorstellung im Zirkus Bertoldi geschenkt hätte.
    Dabei war Bertoldis Sensationsschau seit ihrer gestrigen Premiere fast so etwas wie ein Stadtgespräch.

    Parimontstraße, Dockstraße, Hansaplatz, das war die Auslieferungsroute von Sam und Mozart.
    Der Hansaplatz lag im Hafenviertel. Von hier aus konnte man bereits zwischen den Häusern und über den niedrigen Dächern Verladekräne sehen und Schiffsschornsteine.
    Der kleine Sam war so etwa fünfzehn Jahre alt. Nicht viel mehr. Er hatte tiefschwarzes Kraushaar, eine Stupsnase und da, wo seine Haut aus Hemdsärmeln oder kurzen Hosenbeinen ans Freie kam, war sie kaffeebraun, so wie das bei Negern eben üblich ist.
    Sams Vater war tatsächlich noch im afrikanischen Urwald aufgewachsen. Ein baumlanger, breitschultriger Kongo-Neger. Er war den Abendblatt-Jungen im übrigen genauso bekannt wie der kleine Sam. Er stand nämlich täglich in einer eleganten, goldbestickten Uniform als Portier vor der Eingangshalle des Verlagsgebäudes. Josuah, wie er von jedermann einfach nach seinem Vornamen genannt wurde, war so etwas wie der unbestechliche Wachhund am Portal des Abendblatts.
    Im Gegensatz zu seinem baumlangen Vater war Sam kleiner geraten und geradezu schmächtig. Er war in Europa geboren, hatte wie jeder andere Junge der Stadt eine Schule besucht und sprach deshalb nicht nur einwandfrei deutsch, sondern beherrschte sogar den ortsüblichen Hafendialekt. Ein gutes Stück Afrika war aber trotz Klimawechsel noch als Erbschaft geblieben. Das zeigte sich am deutlichsten, wenn er einmal in Erregung kam. Und das geschah oft genug. Dann blitzten die großen Augen, blitzten die weißen Zähne, und die schlanken schwarzen Hände wirbelten wie Windmühlenflügel durch die Luft.
    Daß dieser lebhafte Sam ausgerechnet Klaus Verhoven, genannt Mozart, zu seinem besten Freund erkoren hatte, dem er stets treu wie ein Schatten anhing, war der gesamten Meute noch heute ein Rätsel.
    Klaus Verhoven war nämlich im Gegensatz zu Sam sehr still und verschlossen. Er wirkte unter all den anderen Jungen geradezu zerbrechlich. Er war sehr schlank, hatte große schwarze Augen mit langen Wimpern und sehr schmale Hände. Es war eine Seltenheit, wenn Klaus von sich aus einmal einen anderen Jungen ansprach.
    Vielleicht hatte damit die Freundschaft zwischen Klaus und Sam einmal angefangen. Damit nämlich, daß der kleine Sam in der ganzen Horde allmählich niemanden mehr gefunden hatte, der ihm zuhörte, wenigstens nicht ohne Widerspruch, außer Klaus.
    Denn genausowenig wie Sam je eine Minute ruhig stehen oder sitzen konnte, genausowenig konnte er stille sein. Er war ständig am Reden, Diskutieren und Palavern. Und das stets ohne Hemmungen. Was er dachte, das sprach er auch schon im gleichen Augenblick aus. Seine Worte sprangen ihm förmlich aus dem Mund. Oft sehr theatralische und große Worte. Es machte ihm gar nichts aus, von „Treue auf Tod und Leben“ zu reden. Von „Liebe bis ins Grab“ oder dergleichen, wenn er davon in irgendeinem billigen Groschenheft gelesen hatte. Und Sam las sehr viel. Kein Wunder, daß er nicht nur unter seinen Kameraden und im ganzen Verlagshaus beliebt war. Auch die Zeitungshändler, bei denen er allabendlich ablieferte, hatten Sam in ihr Herz geschlossen.
    Insbesondere Witwe Schreiber, die ihren Kiosk mitten auf dem Hansaplatz und dicht vor dem Marco-Polo-Denkmal stehen hatte. Sie liebte den kleinen Sam geradezu.
    „Wie einer von den drei kleinen Sarotti-Mohren! Man glaubt, er sei aus Schokolade.“ In dieser Art gab sie immer wieder ihren Gefühlen Ausdruck,
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