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Die Fuenfzig vom Abendblatt

Die Fuenfzig vom Abendblatt

Titel: Die Fuenfzig vom Abendblatt
Autoren: Alfred Weidenmann
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sein Junge kommen konnte, um ihn abzuholen. Diese Wartezeit benutzte der Blinde dann zu Schreibübungen, und seit ein paar Wochen hatte er damit angefangen, musikalische Einfälle niederzuschreiben. Dabei gab er den einzelnen Noten Buchstaben und ihren Werten Zahlen.
    Auch an diesem Abend saß Vater Verhoven wieder über den kleinen Schreibtisch und ein paar Blatt Papier gebeugt.
    „Hallo, Klaus — !“ Er hob seinen schmalen Kopf mit dem hellblonden Haar und der Brille mit den dunklen Gläsern.
    „Es ist heute wieder später geworden, entschuldige
    „Macht nichts, du weißt ja, ich beschäftige mich. Und gerade heute –“
    Der Blinde lächelte. Beinahe wie ein Junge aus der Quarta, dem ein Streich gelungen ist.
    Klaus trat zu seinem Vater an den kleinen Tisch der Pförtnerloge. Und nach einer kurzen Weile pfiff er vor sich hin.
    „Mein Kompliment — das sind ja regelrechte Noten — “
    „Ja — ich habe heute zum erstenmal entdeckt, daß es mit zwei flachen Linealen zu schaffen ist. Du weißt, bisher hab’ ich immer alles übereinander geschrieben und schwer den richtigen Platz zwischen den einzelnen Notenlinien gefunden. Aber wenn ich hier das eine Lineal als untere Grenze nehme und das andere –“
    Klaus ließ sich die neue Arbeitsmethode genau erklären. Dann packte er die Aktentasche seines Vaters zusammen, gab ihm seinen Hut aus einem schmalen Kleiderschrank und löschte die Stehlampe auf dem Schreibtisch. Er freute sich schon darauf, zu Hause am Klavier zu spielen, was sein Vater aufgeschrieben hatte.

    In den Straßen brannte jetzt schon überall Licht. Die Sommerluft lag zwischen den Häusern so weich wie Samt und Seide.
    Die beiden gingen untergehakt. Mit der freien Hand schob Klaus sein Fahrrad.
    Auf der Bogenbrücke blieb Vater Verhoven stehen. Er hielt den schmalen Kopf ein ganz klein wenig schräg und vorgestreckt, wie er es immer tat, wenn er mit seinem Gehör auch die feinsten und fernsten Geräusche erkunden wollte. Aus der Feme, vom Hafen her, klangen noch die Geräusche der Verladekräne. Dazwischen immer wieder das Tuten eines Dampfers, der wohl gerade in den Hafen gelotst wurde.
    „Du, Klaus — das ist auch Musik. Hörst du? — Man müßte versuchen, das mit Instrumenten auszudrücken — diese Motoren, diese Kettengeräusche der Kräne — diesen Rhythmus einer Hafenstadt…“
    Vater Verhoven nahm seine dunkle Brille ab und legte seine Hand über die entblößten Augen, denen man nicht ansah, daß sie blind waren. Eine Weile blieb er stumm, und Klaus spürte nur den Druck des Armes, den sein Vater unter den seinen geschoben hatte, für einen Augenblick stärker werden. Die schmale Berlitzstraße lag in der Nähe des Hansaplatzes. Hinter den Häuserblocks des Finanzamts bog sie in scharfer Krümmung an der alten Johanniterkirche vorbei.
    Wohl führte Klaus seinen Vater noch am Arm durch den dunklen Flur. Doch im Treppenhaus fand sich der Blinde dann schon von selbst zurecht. Während der Junge sein Rad in den Keller brachte, stieg Vater Verhoven allein die Stufen zum Dachgeschoß hinauf. Hier bewohnten sie zwei Zimmer, zu denen eine kleine Küche gehörte.
    Als Klaus die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, ging er sofort zum Flügel. Nachdem er noch schnell das Licht angeknipst hatte, warf er seine nasse Mütze auf das reichlich abgenutzte Sofa. Jetzt glättete er das Stück Papier, das sein Vater in der Portierloge der Rasmussen-Werke beschrieben hatte. Der Blinde, als er das Öffnen des Flügels hörte, trat näher und hörte mit Spannung auf die ersten Akkorde. Anfänglich rief er noch korrigierend diese oder jene Note dazwischen, aber dann, als das Spiel des Jungen flüssiger wurde, schwieg er ganz und lauschte bewegungslos.
    Eine halbe Stunde später, als sich Klaus schon eine Schürze umgebunden hatte, weil er mit der Zubereitung des Abendbrotes beschäftigt war, lief er ausgelassen wie schon lange nicht mehr zwischen den beiden Zimmern und der schmalen Küche hin und her.
    „Ich kann vielleicht wieder anfangen! Wieder komponieren! Was sagst du dazu?“
    „Wir werden Konzerte geben! Du wirst deine eigenen Kompositionen dirigieren!“
    „Das vielleicht nicht. Aber — “
    „Die Zeitungen werden von einer Sensation sprechen: Blinder Komponist am Dirigentenpult!“
    „Beethoven war taub, als er die Neunte schrieb — !“
    Klacks! — Klaus hatte ein Ei in die Bratpfanne geschlagen. Vater Verhoven kam zur Küchentür: „Jetzt machst du dich aber lustig über
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