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Die Fuenfzig vom Abendblatt

Die Fuenfzig vom Abendblatt

Titel: Die Fuenfzig vom Abendblatt
Autoren: Alfred Weidenmann
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entdecken. Das machte den Rothaarigen fast übermütig.
    In elegantem Bogen überholte er einen der gelben Stadtomnibusse, und erst als er dessen Bremsen erschreckt aufquietschen hörte, wurde es ihm bewußt, daß er vor dem zweistöckigen Ungeheuer wieder einmal etwas zu scharf eingekurvt war.
    Nun kamen sie mitten ins Zentrum, und vorne an der Ecke, beim Cafe Universal, warteten auch schon die ersten Händler. Sie standen noch alle in kleinen Gruppen beisammen. Auch die „Freien“. Der Nachtexpreß war also wirklich noch nicht zuvorgekommen. Trotz der zwölf Minuten!
    Vor allem die Männer mit ihren roten Abendblatt-Mützen traten jetzt an den Rand des Bürgersteiges, um als erste ihre Zeitungen in Empfang zu nehmen. Sie standen sprungbereit, wie die Monteure einer Montagebox, wenn sie bei einem Autorennen ihren Wagen zum Tanken oder Reifenwechsel erwarten.
    Zwei der Jungen, die so ziemlich am Ende des Rudels gefahren waren, bremsten, und sofort waren ihre Gepäckständer leer. Sie hatten ihre Räder noch nicht wieder zur Rückfahrt gewendet, da hörten sie schon in ihrem Rücken die ersten Ausrufer: „Abendblatt! Das neue Abendblatt!“
    Vor dem Gebäude des Hotel Monopol teilte sich jetzt die Horde. Zehn oder zwölf Jungen bogen nach rechts in die Kieler Straße ab, vier hielten vor dem Hotel, wo sie von einer größeren Anzahl Zeitungsverkäufer erwartet wurden. Drei
    Jungen überquerten den Platz in der Richtung zum Rathaus. Alibaba schoß mit dem Rest seiner Horde weiter zum eigentlichen Mittelpunkt der City.
    Die fünfzig Jungen verteilten sich immer mehr, zerflossen geradezu und verloren sich in den Straßen, Gassen und auf den Plätzen. Schließlich war Alibaba an der Seite eines seiner Jungen nur noch allein. Da er der Meinung war, daß ein richtiger Boß sich seine besonderen Rechte stets auch durch besondere Pflichten zu verdienen hätte, nahm er nämlich allabendlich die weiteste Strecke auf sich: Den Kiosk an der Ecke des Warenhauses Emo. Hier schlug der ganze Verkehr der Stadt zusammen wie in einer Brandung. Hier spie die Untergrundbahn ihre Menschenmassen aus. Omnibusse und Straßenbahnlinien hatten hier ihre Haltestelle. Vom Westen her endigte hier die Hafenchaussee, die Kieler Straße vom Norden, und eine Menge enger Gassen mündeten in den weiten, freien Platz. Der große Stern lag im Mittelpunkt des Zentrums wie das Führungsloch in der Mitte einer Schallplatte.
    So hoch Alibaba sein Rad auch vollpacken mochte, er konnte doch nicht allein herbeischaffen, was an diesem Hauptverkehrspunkt allabendlich an Zeitungen benötigt wurde. Casanova, der zweitgrößte unter den Abendblatt-Jungen, fuhr jeden Abend mit ihm die gleiche Tour.
    Was Casanova mit seinem Fahrrad heranschleppte, ging Abend für Abend an den Kiosk des Händlers Bierbaum. Der stand heute schon wartend hinter der offenen Tür seines Verkaufshäuschens, hatte den Rock ausgezogen und die Daumen unter die Gummibänder seiner Hosenträger gestemmt. Bierbaum war ziemlich beleibt, und wie er jetzt dem Jungen half, die Zeitungspakete in das Innere seines Kioskes zu stapeln, schnaubte er wie ein Nilpferd. Nur seine auffallend kleinen und kurzen Finger waren von einer erstaunlichen Fixigkeit. Erwin bewunderte sie jeden Abend von neuem, wenn sie beim Abzählen wie flinke Eichhörnchen die Ränder der Zeitungen entlangflitzten.
    „Neunhundert — in Ordnung!“ Bierbaum warf noch schnell seinen Namenszug unter die vorgelegte Empfangsbestätigung, und dann riß er auch schon das Verkaufsfenster seiner kleinen Bretterbude in die Höhe.
    „Abendblatt! Erst in dieser Sekunde eingetroffen! Das Neueste vom Neuen! Das Abendblatt!“ Seine etwas zu hohe Stimme rief es aus dem Kiosk in die Masse der Vorübergehenden, von denen bereits die ersten stehenblieben und in ihre Taschen griffen.
    Alibaba hatte inzwischen die fliegenden Händler mit den roten Abendblatt-Mützen abgefertigt. Auch von ihnen waren die meisten bereits laut rufend im allgemeinen Durcheinander des Abendverkehrs verschwunden, waren zur Untergrundbahn hinabgestiegen oder hatten sich auf die Trittbretter einer vorbeifahrenden Elektrischen geschwungen.
    Noch zwei Pakete — zwei Quittungen — zwei Unterschriften — dann hatte auch Alibaba seinen Gepäckträger leer.
    „In einer Viertelstunde am Columbus-Haus!“ rief er noch den letzten davoneilenden Händlern nach, dann schwang auch er sich wieder auf sein Rad, fuhr Seite an Seite mit Erwin Kogge, genannt Casanova, die Richtung zum
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