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Die Frühstücksfreundin

Die Frühstücksfreundin

Titel: Die Frühstücksfreundin
Autoren: Oliver Hassencamp
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allein.«
    »Nicht unbedingt.«
    »Ich möchte nur kein Gerede im Café«, sagt sie.
    »Ich auch nicht.«
    »Bis jetzt habe ich alle Angebote in dieser Richtung ab gelehnt.«
    »Dann wäre ich da eine Ausnahme?« fragt er.
    »Sie haben nicht diesen albernen Flirt-Unterton. Die meisten Männer denken immer, das würde erwartet. Dabei ist es nur lästig.«
    Aha, denkt er, harmlos und zuverlässig — meine Ausstrahlung. In der Mittagspause wird er zu dem Mädchen gehen, das diese Kurzdiagnose aufgestellt hat. Sie schweigen, weil er schweigt. Was soll er sagen? Robert überlegt.
    »Was ich Sie fragen wollte: Was ist eigentlich Ihr Motiv zum Frühparken? Sie machen nicht den Eindruck, als ob Sie besonders gern früh aufstehen.«
    »Tu ich auch nicht. Aber ich werde sehr früh wach, und dann halte ich es nicht aus, allein in der Wohnung. Mein Mann ist viel unterwegs. Und Sie? Sie haben doch Familie, soviel ich gehört habe? «
    Robert nickt.
    »Ich mag keine Hetze morgens. Ich bereite mich gern in Ruhe vor, auf den Tag, auf die Arbeit.«
    Jetzt ist der Eindruck harmloser Zuverlässigkeit komplett, denkt er.
    »Was ist Ihre Arbeit?« fragt sie, und er zögert.
    »Nicht unbedingt das, was mein Ehrgeiz sich wünscht.«
    »Da geht es Ihnen wie mir«, erfährt er zu seiner Überraschung, »ich bin auch... nicht gerade zu Höherem geboren, andererseits nicht unbedingt zu dem, was ich mache.«
    »Ich weiß«, sagt er.
    »Haben unsere Herren am Tisch Sie informiert?«
    »Ausführlich. Nach bestem Wissen.«
    Sie lacht. »Diese Männer. Ihre Eitelkeit hält es fast nicht aus, daß man sie links liegen läßt.« Zuverlässigkeit scheint ihr tatsächlich lieber zu sein. Robert versteckt den Anschein des Harmlosen hinter einem süffisanten Lächeln.
    »Sie passen auch nicht in das Café. Das merken die doch.«
    »Sie passen genausowenig hin!« sagt sie.
    »Eher als Sie. Um aber zum Thema zurückzukommen:
    Ihre Einstellung beruhigt mich. Es klingt vielleicht etwas rüde, aber zu wissen, daß ein Mensch wie Sie auch nicht da ist, wo er eigentlich hingehört — da fühlt man sich nicht so allein.«
    Ohne es zu wollen, sprudelt er seine Geschichte heraus: den im Krieg gefallenen Vater, das Leben mit der Mutter von der Rente. Das Jurastudium, bis sie ins Altersheim kam. Da reichte das Geld nicht mehr für zwei, Robert mußte verdienen und fand einen Posten bei der Versicherung, wo er jetzt festsitzt.
    Die Nähe ist kein Problem wie beim ersten Spaziergang, fällt ihm auf.
    »Wissen Sie«, antwortet sie nach einem Schweigen, »ich glaube, Sie überschätzen den äußeren Erfolg. Schauen Sie die Arrivierten doch an. Streßgeplagte. Sie sind ein Mensch. Das habe ich sofort gespürt. Sie sind tolerant, Sie sind souverän.«
    »Nett von Ihnen, daß Sie das finden. Leider habe ich in Wirklichkeit nur Komplexe.«
    »Was sagt Ihre Frau dazu?«
    »Ich versuche möglichst wenig über meinen Ehrgeiz zu reden. Das bringt nur Mißstimmung und bekommt der Familie nicht. Meine Frau ist zufrieden, so wie es ist.«
    »Und Sie sind unzufrieden.« Ein langer Blick, dann kommt der Nachsatz: »Aber nicht unglücklich.«
    »Und Sie?«
    Ihr Lachen kommt stoßartig; dann sagt sie ruhig und mit hellerer Stimme:
    »Vor meiner Ehe hatte ich jahrelang ein Verhältnis mit einem älteren Mann. Chefarzt, natürlich verheiratet, natürlich Kinder. Er war viel unterwegs, auf Kongressen. Daran erkennt man die Koryphäen, die ihren Zenith überschritten haben. Auf einem Kongreß haben wir uns auch kennengelernt. Wir sahen uns mal da, mal dort, immer in Hotels. Er hat mich verwöhnt, ließ mir aber meine Freiheit. Ich war selbständig, anerkannt, beruflich und privat, hatte Geld, Erfolg, und trotzdem ging es mir, wie Ihnen jetzt.« Sie bleibt stehen. »Warum erzähle ich Ihnen das alles? Ich rede sonst nicht über mich. Aber bei Ihnen habe ich das Gefühl, als ob wir uns schon ewig kennen würden. Und nach so langer Zeit müssen Sie’s ja mal erfahren, nicht?«
    Robert schaut in die grauen Augen. Da fällt ihm Karl ein: bildschöne Frühstücksfreundin — und er sagt:
    »Wo wir uns schon so lange kennen, wie heißen Sie eigentlich?«
    »Sidonie.«

    Aktenvorbearbeitung — jene Fleißroutine, die Roberts beruflichen Gipfel markiert, wird heute unter veränderten Vorzeichen vorgenommen. Er arbeitet gelassen, ohne Nebenabsichten, wie er durch Spitzfindigkeiten auffallen könnte. Eines ist ihm klargeworden: er hatte sich verrannt. Sidonie hat das sofort gemerkt. Sidonie —
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