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Die Frühstücksfreundin

Die Frühstücksfreundin

Titel: Die Frühstücksfreundin
Autoren: Oliver Hassencamp
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1. Parklücke
    »Morgens Zeit haben — der ganze Tag sieht anders aus!« hat der Mann gesagt, der Robert in die knappe Lücke eingewinkt hat, nach der dritten Runde um den Block, vier Minuten vor acht. Es war mühsam hier im Viertel der Versicherungen und Banken. Wenn die Firma keine eigene Tiefgarage besaß, hatten ihre Mitarbeiter Dauerprobleme.
    »Ich stehe immer am selben Platz. Genau vor der Tür«, hat der Mann gesagt, und Robert hat gelacht.
    »Haben Sie ein Baustellenschild im Kofferraum, das Sie abends hinstellen?«
    Der Mann hat den Kopf geschüttelt.
    »Ich komme früh genug.«
    »Nur wegen dem Auto?«
    »Wegen der Gesundheit.«
    »Und dann? Laufen Sie um den Block, bis es Zeit ist?« Robert hat versucht, den Honig an seinem Zeigefinger mit dem Daumen wegzuribbeln. Der Mann hat über die Straße gedeutet.
    »Um die Ecke ist ein kleines Garni Hotel mit einem Café. Das macht sehr früh auf; die Hotelgäste sind meist Vertreter, die um acht schon weiß Gott wo sein müssen.«
    »Und da frühstücken Sie. Jeden Tag?« Robert hat sofort an die Kosten gedacht, und der Mann hat gelächelt.
    »Da lese ich in Ruhe meine Zeitung, trinke meinen Kaffee, gehe danach ein paar Schritte.«
    Zufrieden klingt er. Fast ein bißchen vorsätzlich zufrieden, hat Robert gedacht und sich gerade verabschieden wollen. Da hat der Mann den Satz gesagt: »Morgens Zeit haben — der ganze Tag sieht anders aus.«
    Es gibt wenige Sätze, die so haftenbleiben, daß sie Weichen stellen könnten im Leben. Längst sitzt Robert über den Akten des wichtigen Falls, mit dem er den Herren Doktoren im Hause beweisen will, daß seine Einschätzung die richtige ist. Ihm wird das nichts nützen, nur der Firma. Er wird bleiben, was er ist: juristischer Handlanger. Mehr kann er nicht werden, mehr kann er nicht verdienen, es sei denn, er entwickle eine geniale Idee. Robert fehlt das Staatsexamen.
    Petra, die Sekretärin, bringt neues Aktenmaterial zur gewohnten Vorbearbeitung. Doch zuerst muß sich Robert die Hände waschen. Honigfinger erleichtern zwar das Umblättern, können aber Spuren hinterlassen. Jennifer hat recht, denkt er vor dem Doppelbecken im Waschraum. So eines sollten wir auch haben. Ein einzelnes ist für vier Personen einfach zuwenig. Und Franziska hat auch recht: erst wenn die Wohnung abbezahlt ist. Und er erinnert sich, was Martin darauf gesagt hat: Typisch Mami! Die wär’ ja schon mit ’nem Ziehbrunnen zufrieden.
    Mit den Namen der Kinder hatten sie sich Mühe gegeben, hatten allen Modeströmungen getrotzt. Martin hieß nach dem Vater seines Vaters, weil er dem Neunzigjährigen in den ersten vierzehn Tagen seines irdischen Vorhandenseins frappierend ähnlich gesehen hatte, und Jennifer war sein Einfall gewesen, ein sehr guter Einfall, wie er fand, kein anderes Mädchen weit und breit hieß Jennifer. Wäre es nach Franziska gegangen, ihre Tochter würde Anna heißen.
    Der Kragen sitzt nicht, stellt er im Spiegel fest. Mal wieder Maßhemden machen lassen, drei vielleicht. Zuerst hatte er ein anderes angezogen. Bis Jennifer die Handbrause ausrutschte, als er sich im Bad die Krawatte band und nicht an den Spiegel herankonnte, weil sich Martin im Waschbecken die Zähne putzte. Da ist ihm ein Satz eingefallen:
    »Der schlimmste Stau am Morgen ist nicht der auf dem Altstadtring, sondern der in unserem Badezimmer. Nur weil ihr nicht aus den Federn kommt, Scheißkinder.«
    Sie sagten oft Scheißkinder, beide. Franziska war das Wort einmal herausgerutscht, als Jennifer und Martin ihr Kakao über ein geliehenes Buch schütteten, ein Buch über Kinderpsychologie. Sie hatte sich Vorwürfe gemacht, und die Vorwürfe verschlimmerten sich, je weiter sie las, bis Robert meinte:
    »Wenn wir die Bezeichnung als scherzhafte Rüge beibehalten, müssen sie nicht zum Therapeuten. Und du auch nicht.«
    Dabei blieb es. Aus dem Wandschrank in der Diele hatte sich Robert das Hemd mit dem schlechtsitzenden Kragen geholt. Bis er es angezogen und die Krawatte umgebunden hatte, war der Toast kalt, das Ei zu hart und keine Zeit mehr zum Zeitunglesen. Zu allem Überfluß rief auch Freund Karl noch an. Aus dem Tennis morgen nachmittag werde nichts, weil er nach Genf müsse, zu einem Mandanten. Unangenehm erfolgreich klang das. Karl hatte sein Staatsexamen. Und eine Villa mit Schwimmhalle.
    Franziska legte Papiere neben Roberts Teller.
    »Da ist eine Mahnung gekommen. Wegen der Hausratversicherung. Das mußt du entscheiden.«
    »Warum muß ich das entscheiden?
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