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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition)
Autoren: Philippe Djian
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Busch zum anderen, als juckte ihnen die Haut. »Na wie geht’s, ihr beiden?« rief ihnen Brigitte zu.
    Mit fünfundvierzig verdrehte Laure Trendel noch immer jungen Männern den Kopf – Typen, die von Schauspielerinnen schwärmten und sich vorstellten, diese könnten ihnen in den Sattel helfen –, aber in Wirklichkeit ging es mit ihr abwärts, sie trank zuviel. Judith Beverini und sie mixten sich schon am frühen Nachmittag Cocktails.
    Sie war noch schlank. Das stimmt. Sie sah noch gut aus, aber sie hatte harte Gesichtszüge bekommen. Wenn sie das Haar hochsteckte, war die Wirkung noch ergreifender. Sie war jetzt eine blasse, tragische Schönheit voller Bitterkeit und Schmerz, wenn sie zu lange nüchtern blieb.
    Der Tod ihrer Tochter hatte sie furchtbar erschüttert. Manchmal kleidete sie sich den ganzen Tag nicht an, schminkte sich kaum, trug eine dunkle Brille. Judith mußte ihre ganze Energie aufbringen, um sie in die Stadt mitzuschleppen. Wenn Richard, der seit dem Drama ebenfalls depressiv war, sich bereit fand, sein Arbeitszimmer zu verlassen, und sie sich begegneten, hatten sie sich oft nichts mehr zu sagen, suchten nach Gesprächsstoff oder tauschten ein paar banale Floskeln aus. Sie kaufte ihm noch immer Slips und Socken, aber sie konnte sich nicht mehr auf ihn verlassen.
    Mit ihrem Sohn lag die Sache anders: Sie trug es ihm nach. Sie stand auf der Veranda, die Hüften an das Geländer gedrückt, und telefonierte mit ihrem Agenten.
    Sie wechselten einen Blick, als Evy durch das große doppelstöckige Wohnzimmer ging, in dessen Mitte sich ein Kamin befand und das bis auf übermäßig viele Fotos an den Wänden sehr nüchtern eingerichtet war: leicht japanisch inspiriert und mit frischen Blumen geschmückt, die einmal in der Woche geliefert wurden, dem einzigen wirklichen Luxus, auf den die Trendels nie verzichtet hatten, nicht einmal in den finstersten Momenten ihrer finanziellen Schwierigkeiten.
    Es war die Woche der Pink-Beauty-Tulpen.
    »Was ist denn das für eine Geschichte mit Anaïs?« fragte sie.
    Evy wandte sich achselzuckend dem Kühlschrank zu. Der Swimmingpool der Nachbarn war erleuchtet, aber seit dem Sommer badete niemand mehr darin – Patricia und Georges Croze, sie war die erste Geigerin und er der Dirigent des philharmonischen Orchesters, waren von ihrem Urlaub auf den Seychellen mit einer Hautkrankheit zurückgekommen, einer ziemlich abstoßenden Art von Krätze, deretwegen sie sich aus Scham nicht mehr zu zeigen wagten. Der Mond stieg über den Amberbäumen auf, tauchte die Hecken, die die Fahrbahnen der breiten, schillernden Alleen auf dem Hügel voneinander trennten, in silbernes Licht und funkelte in der Ferne in den Fichten, die bis zu der nur noch als pulvrig-rosa Schimmer zu erkennenden Stadt hinabreichten. In einem Winkel des Gartens stand ein kleiner Bungalow, den der frühere Hausbesitzer – der Mann hatte mit Rockmusik ein Vermögen erworben und sich ein größeres Haus gekauft – als Fitnessraum benutzt hatte, um sich in Form zu halten und seine Muskeln zu trainieren. Richard hatte alle Geräte rausgeworfen und das Häuschen in ein Arbeitszimmer verwandelt. Kein Licht drang durch die Fenster.
    Evy war ungern mit seiner Mutter allein, aber er hatte nichts gespürt, als er ihr begegnete, keine gespannte Atmosphäre, nichts Unangenehmes in dem Ton, in dem sie ihm die Frage gestellt hatte, falls es also dabei blieb, war die Sache in Ordnung – denn manchmal war die Spannung zwischen ihnen, noch ehe sie ein Wort gewechselt hatten, so entsetzlich groß, daß er in sein Zimmer hinaufgehen, die Tür hinter sich zuschlagen und sie abschließen mußte, um zu vermeiden, daß es zum Streit kam.
    Er ging mit einem Teller kalten Hähnchenfleischs an die Bar und setzte sich auf einen Hocker. Das Licht kam aus kleinen Halogenleuchten, die die sanfte abendliche Stimmung in dem Raum nicht störten und nur die Theke beleuchteten, ohne die Gesichter direkt anzustrahlen – ein ausgesprochen neutrales Terrain. Laure behauptete, daß man bei Hähnchen vermutlich das geringste Risiko einging, zumindest wenn sie von einem Bauernhof und nicht vom anderen Ende der Welt stammten, wo alle möglichen Krankheiten zum Ausbruch kamen und weiterhin kommen würden, so wie die Leute dort lebten.
    »Soll ich dir eine Mayonnaise zubereiten?« fragte sie.
    Sie war also tatsächlich guter Laune. Er lehnte ihr Angebot ab. Sie fühlte sich immer dann besser, wenn Richard nicht da war. Und so richtig gut, wenn zu
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