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Die Frucht des Bösen

Die Frucht des Bösen

Titel: Die Frucht des Bösen
Autoren: Lisa Gardner
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den Nerven als seine Zerstörungswut.
    Was macht er? Hat er was gefunden? Was habe ich übersehen?
    Verdammt, ich brauche das Ativan, und zwar sofort.
    Ich zwinge mich zu atmen, um meine Nerven zu beruhigen. Handtuch, damit könnte es gehen, zusammengerollt, über das Fläschchen hinter der Kloschüssel geworfen und hervorgezogen. Geschafft.
    Mit dem Schlafmittel in der Hand schleiche ich in den Flur. Es ist immer noch still. Mir schwant Schreckliches.
    Ein Schritt. Zwei, drei, vier …
    Ich nähere mich dem Flurende. Links ist unser protziges Schlafzimmer, daneben das Esszimmer mit Durchgang zur Gourmet-Küche zur Rechten, und von da aus geht es zurück ins Foyer mit seiner gewölbten Decke. Ich werfe einen Blick hinter den sterbenden Ficus in der Ecke und tripple auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer. Aus welchen Ecken Gefahr droht, weiß ich genau. Er könnte hinter dem L-förmigen Sofa hervorspringen, sich neben der zusammengeschlagenen Stereoanlage versteckt halten oder hinter den zerfetzten Seidenvorhängen.
    Was habe ich übersehen? Was habe ich nicht bedacht, und was wird mich meine Fahrlässigkeit kosten?
    Andere Bilder schwirren mir durch den Kopf. Ich erinnere mich daran, wie er einmal mit einem Fleischklopfer aus Holz aus der Vorratskammer herausgestürmt kam und mir zwei Rippen brach, bevor ich fliehen konnte, oder als er mir zum ersten Mal mit dem Hackmesser nachstellte und sich dabei am eigenen Oberschenkel verletzte. Ich fürchtete, er könnte sich die Schlagader aufgeschnitten haben und verbluten, wenn ich wegliefe. Also hielt ich ihm stand und zerrte ihm das Messer aus der Hand. Und dann tröstete ich ihn, während er vor Schmerzen schluchzte und das Blut auf den Perserteppich unseres wunderschönen Foyers tropfte.
    Aber daran darf ich jetzt nicht denken. Ich muss mich konzentrieren, ihn finden und beruhigen.
    Ich schleiche durchs Wohnzimmer auf das Esszimmer zu, habe alle schattigen Winkel im Blick und horche angespannt in die Stille. Die Küchentür öffnet sich ins Foyer. Über diesen Weg kann er ohne weiteres einmal im Kreis laufen und mich von hinten attackieren.
    Ich rücke langsam vor, setze einen Fuß vor den anderen und halte das Fläschchen als meine chemische Keule fest umklammert.
    Ich entdecke ihn in der Küche. Er sitzt mit heruntergelassener Jeans in der Hocke und scheißt auf den Teppich, blickt auf, als ich hereinkomme, und grinst gehässig übers ganze Gesicht.
    «Was hältst du jetzt von deinem kostbaren Teppich?», feixt er. «Was zum Teufel ist an dem so besonders?»
    Ich trete mutig auf ihn zu, das Ativan in der Hand. «Bitte, Schatz. Du weißt, dass ich dich liebe. Bitte.»
    Seine Antwort besteht darin, dass er eine Handvoll Kot vom Boden nimmt und sich den blanken Bauch damit beschmiert.
    «Ich bringe dich um», erklärt er, ruhiger jetzt, fast wie im Plauderton.
    Wortlos halte ich ihm das Fläschchen mit den Tabletten hin.
    «Ich werde es mitten in der Nacht tun, werde dich aber vorher aufwecken. Ich will, dass du Bescheid weißt.»
    Ich reiche ihm die Tabletten.
    «Du hast die Messer weggeschlossen», murmelt er. «Du hast die Messer weggeschlossen. Wirklich alle? Das hast du doch, oder?»
    Er schmunzelt hämisch, und ich werfe einen Blick auf das Abtropfgestell über der Spüle. Was sich darauf befunden hat, liegt jetzt verstreut am Boden. War auch ein Messer dabei gewesen? Habe ich eins am Morgen gespült? Ich kann mich nicht erinnern, und dafür werde ich jetzt womöglich büßen müssen. Für irgendetwas muss ich immer büßen.
    Ich drehe den Verschluss von der Flasche. «Du solltest jetzt zur Ruhe kommen, Schatz. Du weißt doch, nach einer kleinen Verschnaufpause fühlst du dich immer viel besser.»
    Ich schüttle zwei Tabletten auf meine Hand und trete so nahe an ihn heran, dass mir der Gestank seiner Ausscheidungen in die Nase steigt. Vorsichtig öffne ich mit einem Finger seinen Mund und stecke flugs die erste der schnell löslichen Tabletten in seine Backentasche.
    Im Gegenzug langt er mit seinen schmutzigen Fingern nach meinem Hals und streicht, zärtlich fast, über die Höhlung unter dem Kehlkopf.
    «Es wird ganz schnell gehen», verspricht er mir. «Mit einem Messer. Genau an der Stelle hier werde ich zustechen.»
    Unter dem Druck seines Daumens spüre ich meinen Puls schlagen, als er den Todesstoß im Geiste probt.
    Dann sehe ich, wie sich sein Gesicht unter dem Einfluss der Tablette entspannt. Er zieht seine Hand zurück und lächelt wieder. Ganz liebevoll jetzt.
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