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Die Frucht des Bösen

Die Frucht des Bösen

Titel: Die Frucht des Bösen
Autoren: Lisa Gardner
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selbst zu Mördern werden. Dann steht in dicken Schlagzeilen in der Zeitung «Psychopath schießt um sich» oder «Älterer Bruder meuchelt die eigene Familie». Und Menschen sterben, ob sie mit alldem etwas zu tun hatten oder nicht.
    Ich weiß, was Sie denken. Sie glauben, ich hätte diesen Job gewählt, um Kindern zu helfen, die genauso verloren sind, wie ich mich als Kind gefühlt habe, oder – noch heldenhafter formuliert – um Tragödien wie diejenige meiner Familie zu verhindern.
    Das kann ich gut verstehen.
    Aber Sie kennen mich noch nicht.

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    Donnerstag
1 . Kapitel
    Am Donnerstagabend hatte Sergeant Detective D. D. Warren ein Date. Sie hatte schon schlimmere Verabredungen gehabt, aber auch definitiv interessantere. Jedenfalls war es das erste seit langer Zeit, und wenn sich nicht noch herausstellen sollte, dass Chip, der Buchprüfer, eine totale Null war, würde sie ihn später mit nach Hause nehmen und einer ausführlichen Prüfung unterziehen.
    Sie waren mit dem Essen schon fast fertig – ein halbes Weißbrot, in Olivenöl getunkt, und Rindernackensteak, medium –, und Chip hatte es geschafft, sich jedweder Bemerkung über den blutigen Saft auf ihrem Teller zu verkneifen oder darüber, dass sie ihn mit einem weiteren Stück Brot aufwischte. Ihre Essgewohnheiten schreckten die meisten Männer ab, die dann alberne Witze über ihren unersättlichen Appetit machten und noch eins draufsetzten, indem sie meinten, dass man das ihrer mädchenhaften Figur ja gar nicht ansähe.
    Ja, ja, sie konnte futtern wie ein Sumoringer, war aber gebaut wie ein Covergirl. Um Himmels willen, sie war fast vierzig und hatte diesen Widerspruch inzwischen selbst bemerkt. Sie brauchte keinen molligen Bürohengst, der sie darauf aufmerksam machte. Gutes Essen war ihre Leidenschaft, zumal ihre Arbeit im Morddezernat der Polizei von Boston nicht viel Zeit für Sex übrig ließ.
    Nach dem Steak nahm sie sich die überbackene Ofenkartoffel vor. Chip arbeitete fürs Gericht. Die Frau des Freundes eines Kollegen vom Dezernat hatte sie mit ihm bekannt gemacht, wie das halt so lief. Jetzt saßen sie hier im Hilltop Steakhouse, und im Grunde war Chip durchaus in Ordnung. Ein bisschen speckig um die Hüfte, ein bisschen schütter auf dem Kopf, aber durchaus amüsant. Wenn er lächelte, kräuselten sich die Winkel der dunkelbraunen Augen, und viel mehr verlangte sie gar nicht.
    Sie hatte Fleisch und Kartoffeln als Hauptgang und, wenn alles nach Plan lief, Chip zum Dessert.
    Aber natürlich meldete sich ihr Pager.
    Sie verzog das Gesicht und schob den Apparat am Gürtel entlang in den Rücken, als wäre es damit getan.
    «Was ist das?», fragte Chip, der das Piepen gehört hatte.
    «Hormonzyklus-Messer», murmelte sie.
    Chip errötete bis unter den zurückgewichenen Ansatz seiner braunen Haare, grinste aber gleich darauf so herrlich verlegen, dass sie ihn am liebsten gleich hier flachgelegt hätte.
    Wehe
, dachte D. D.
Wehe, es ist weniger als ein Massaker, denn dann will ich verflucht sein, wenn ich mir dafür meine Nacht entgehen lasse.
    Doch als sie die Meldung las, tat es ihr auch schon leid, einen solchen Gedanken überhaupt gehabt zu haben.
    Chip, der amüsante Buchprüfer, bekam einen Kuss auf die Wange.
    Dann machte sich Sergeant Detective D. D. mit Vollgas auf den Weg.
     
    Sie war schon gut zwanzig Jahre bei der Bostoner Polizei. Anfangs hatte sie fast ausschließlich mit Verkehrsunfällen mit Todesfolge und Tötungsdelikten in der Drogenszene zu tun gehabt, doch dann gelang ihr der Sprung nach oben. Inzwischen ermittelte sie in so medienwirksamen Fällen wie der Entdeckung sechs mumifizierter Leichen in einem Kellerloch oder, wie jüngst, dem Verschwinden einer bildhübschen jungen Lehrerin. Ihre Vorgesetzten stellten sie gern vor die Kameras. Denn wer könnte mehr Verwirrung stiften als eine gutaussehende blonde Polizeibeamtin?
    Sie hatte nichts dagegen. Unter Stress lebte D. D. auf. Ein Fall für den Dampfdruckkessel war ihr lieber als ein All-you-can-eat-Buffet. Der einzige Nachteil bestand darin, dass ihr Privatleben zu kurz kam. D. D. leitete bei der Mordkommission ein dreiköpfiges Team. Nachdem sie den ganzen Tag Spuren verfolgt, Informanten befragt oder zum wiederholten Mal Tatorte begangen hatte, musste sie oft bis spät in die Nacht hinein auch noch am Schreibtisch sitzen und Berichte schreiben, eidesstattliche Erklärungen formulieren oder Haftbefehle beantragen. Jedes Team hatte darüber
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