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Die Freundin meines Sohnes

Die Freundin meines Sohnes

Titel: Die Freundin meines Sohnes
Autoren: Lauren Grodstein
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nicht freuen.«
    »Zur Freude besteht doch wohl kein Anlass, auch wenn … auch wenn das nun so ausgegangen ist.«
    »Es ist eine Chance«, sagte Elaine.
    »Ich bin nicht sicher.« Was hätte ein verlorener Prozess noch ausgemacht nach allem, was ich sonst verloren hatte?Ich musste an Roseanne Craig und das Lächeln auf ihrem Gesicht denken, als sie uns das neue Auto verkauft hatte.
    »Ich hab den Termin beim Anwalt morgen abgesagt.«
    »Du hast ihn abgesagt?« Ich sah sie an, und sie schaute verlegen.
    »Ich bin fast fünfundfünfzig, Pete. Ich… ich möchte einfach mal für eine Weile Ruhe haben. Ich halte das nicht mehr aus, dieses du gehst oder ich gehe, oder wir verkaufen das Haus, du bist es nicht mehr da, und ich muss herumfahren und dich suchen, damit wir besprechen können, was wir besprechen müssen. Ich will nicht meine Pensionierung für mich alleine planen«, sagte sie.
    »Deine Pensionierung?«
    »Ich bin wirklich erschöpft, Pete.«
    Zwei Jogger trabten die Pearl Street entlang, ein Mann und eine Frau, er schob einen Jogging-Kinderwagen. In dem Wagen schlief offenbar ein Kind. Ich kannte die Leute nicht, musste aber an Alec denken. Wenn er als Kind nicht schlafen konnte, bin ich aufgestanden, hab ihn hochgenommen und in meinen Armen gewiegt, bin mit ihm raus und, ihn wiegend, auf der Straße hin- und hergegangen.
    Nach einer Weile sagte ich: »Du hast nie herumfahren und mich suchen müssen.«
    Sie antwortete nicht.
    »Ich hab immer auf dich aufgepasst.«
    »Das stimmt nicht ganz, hm?« sagte sie, machte dann aber eine abwehrende Handbewegung, wehrte den Streit ab, den sie nicht haben wollte.
    »Ich habe Laura nicht vergewaltigt«, flüsterte ich.
    »Ich weiß.« Aber überzeugt war sie nicht. Und deshalb hatte sie mich im Atelier einquartiert, nicht einmal meine eigene Frau glaubte mir wirklich. Jetzt, wo sie mir ein Leben lang geglaubt hatte, nistete sich der Zweifel in unserer Eheein. Angst. Es ging das Gerücht, und es hatte sich so schnell wie zähflüssige Lava ausgebreitet und unsere Kleinstadt Round Hill unter sich begraben, das Gerücht, ich hätte Laura Stern vergewaltigt. Ich war ein Außenseiter, nicht weil ich Roseanne Stern verloren hatte, sondern weil es Geflüster gab, was ich angeblich der Tochter meines besten Freundes angetan hatte, Geflüster, das ich nicht widerlegen konnte. Kein Anwalt der Welt konnte, wie viel ich ihm auch zahlte, einen Prozess für mich gewinnen, der mir durch Gerüchte gemacht wurde. Und deshalb war ich aus meiner Praxis hinausgeworfen worden. Wohnte in einem Atelier über der Garage. Monatelang hing meine Ehe an einem seidenen Faden. Das war die Strafe für etwas, was ich nicht getan hatte, aber auch die Strafe dafür, dass Roseanne Craig gestorben war, weil ich sie nicht richtig behandelt hatte. Richtig ist richtig, und es war die Wahrheit, dass ich einen schweren Fehler gemacht hatte.
    Elaine fuhr sich mit dem Zeigefinger unter dem Auge entlang, weinte aber nicht. Eigentlich nicht. Während all dieser Zeit hatte meine Frau wohl nicht oft geweint.
    »Elaine …«
    »Warum sollte Laura lügen, Pete?«
    »Ich weiß es nicht.« Ich würde das noch tausendmal sagen, wenn ich es musste.
    »Warum war Blut an ihrem Schlafanzug?«
    »Das hab ich dir gesagt – hab ich. Wir haben uns gestritten. Ich habe sie geschlagen.«
    »Ich weiß«, sagte sie. »Du hast es mir gesagt.« Aber richtig glauben würde sie es mir nie, und damit musste sie leben.
    »Ich wünschte, ich wüsste, was ich denken soll«, sagte sie. »Ich habe keine Ahnung, was ich denken soll. Ich weiß bloß, dass ich nicht … ich bin nicht mutig genug, um allein von vorn anzufangen …«
    »Es geht hier nicht um Mut, Lainie …«
    »Ich will nicht alleine sein. Das ist alles.«
    Wir würden also so weitermachen, morgen, übermorgen. Die Forsythien an der Einfahrt blühten. Die Kaninchen hatten den Narzissen die Blütenköpfe abgefressen.
    Ich sah noch einmal zu dem Transporter, und da kapierte ich es. »Alec zieht aus, weil du dem Anwalt abgesagt hast.«
    »Na ja, ausziehen müssen hätte er sowieso irgendwann.«
    Ich schob ihr eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr, legte die Hand dann wieder auf meinen Schoß. »Das stimmt.«
    »Irgendwann hättest du ihn ja doch gehen lassen müssen.«
    »Er ist schon gegangen.«
    »Vielleicht kommt er ja eines Tages wieder«, sagte sie.
    Ich sah noch einmal zu dem Transporter, auf dessen langer weißer Seitenwand SEE COLORADO stand. Mein Sohn und alle seine Sachen.
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