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Die Freundin meines Sohnes

Die Freundin meines Sohnes

Titel: Die Freundin meines Sohnes
Autoren: Lauren Grodstein
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Hündchen? ein Eichhörnchen? Danach wieder acht Minuten lang nichts. Und dann ein Auto. Und noch eines. Aber soweit ich das sah, war es niemand, den ich kannte.
    »Pete? Bist du hier oben?«
    Elaine machte Eiersalat zum Mittagessen. Ich zog mich an, warf mein schmutziges Handtuch in den Korb, roch überall an mir noch die Ivory-Seife und ging hinunter. Elaine hatte mir Kresse aufs Brot als Unterlage für den Eiersalat getan. Sie wollte ein paar Einkäufe machen gehen.
    »Hör mal«, sagte sie. »Ich möchte, dass du ein bisschen netter zu dir bist, okay? Du kannst nicht rumsitzen und dir die Schuld an dem geben, was Roseanne zugestoßen ist.«
    »Okay.«
    »Wirklich, Pete. Das tut dir nicht gut. Ich weiß, du mochtest das Mädchen, aber …«
    »Lass mich bloß ein bisschen trauern, Elaine.«
    »Pete …«
    »Bitte lass mich.«
    Elaine machte Frischhaltefolie über die Schüssel mit dem Eiersalat und wischte die Krümel von der feinmarmorierten Frühstückstheke. Ging mit einem Schwamm in der Hand über unsere Plätze. Ihr Haar hatte die Farbe eines mütterlichen Semmelblonds und reichte ihr bis knapp unter die Ohren, sie trug eine Khakihose und ein blaues Poloshirt und hatte mehr Ähnlichkeit mit einer alten Hausfrau, als ich mir das für meine Frau je hätte vorstellen können. Und doch war unsere Beziehung so liebevoll, so zärtlich. Echte Zärtlichkeit. Elaine und ich hatten unsere Prüfungen gehabt – die Kinderlosigkeit, ihre Krankheit, emotionale Abwesenheit – und hatten uns trotzdem zusammen ein Leben aufgebaut. Sie gehörte nach diesen vielen Jahren so sehr zu mir wie meine eigene Haut. Was werde ich der Welt über dich erzählen, Elaine? Du hast eine schöne Singstimme. Du weißt, wie Mittelenglisch ausgesprochen wird. Du bist so besonders und großartig wie ein Kondor.
    Hätte ich mir mit einer anderen Frau ein Leben aufbauen wollen, wäre ich gescheitert. Und sie hielt weiter zu mir, immer wieder, sogar nach so vielen Misserfolgen, sogar nachdem ich nicht so dankbar gewesen war, wie ich es hätte sein sollen.
    »Ich bin nicht lange weg«, sagte sie. Sie zog sich das Poloshirt zurecht. »Brauchst du irgendwas aus dem Supermarkt?«
    »Nein.«
    »Sicher?« Ich nickte. »Gut.« Sie kam zu mir herüber und küsste mich auf die Schläfe. »Ich liebe dich, Pete.«
    »Ich liebe dich auch.« Und dann sah ich sie aus der Küche gehen. Ich werde jetzt nicht die »Was-wäre-gewesen-wenn«-Platteauflegen, denn bis jetzt habe ich mich nicht bemitleidet und möchte mir diese eine Stärke auch bewahren. Ich werde also nur sagen, dass das Auge des Orkans vielleicht sieben Stunden dauerte, was nach den Maßstäben der Meteorologie lang ist, mir aber trotzdem kaum Zeit zum Atemschöpfen ließ. Ich aß mein Brot auf. Starrte zum Fenster hinaus. Ich weiß bis heute nicht, was ich zu sehen hoffte. Ich dachte an den Moment, als Roseanne Craig meine Praxis verließ: Da hatte ich sie in den Arm nehmen wollen.
     
    Ich war wieder in meinem Arbeitszimmer, als es an der Tür läutete. Mein erster Gedanke waren Girl Scouts, die Plätzchen verkaufen wollten, oder Zeugen Jehovas – für keins von beidem lohnte sich das Aufstehen.
    »Pete!«
    »Pete, bist du da?«
    Iris und Joe standen an der Tür. Sie kamen sonst fast immer einfach von hinten rein. Ich sah sie im Fenster, bevor ich die Tür aufmachte: Aus irgendeinem Grund sahen beide mitgenommen aus, beide leicht gebeugt. Iris’ Haar schimmerte grau, und Joes Stirn sah rot aus, so als habe er sie den ganzen Morgen gerieben. Ich hatte den zerknüllten nächsten Entwurf meines Briefes in der Hand, und noch war ich nicht unruhig.
    »Was ist los?«
    »Laura ist weg, Pete«, sagte Joe.
    »Weg?« Ich machte die Tür weit auf und ließ sie herein. Wir setzten uns ins Wohnzimmer, eine Seltenheit, im Allgemeinen zogen wir den freundlicheren Küchenbereich vor, die Nähe von Essen und Alkohol. »Ich verstehe nicht.«
    »Sie ist verschwunden«, sagte Iris. »Sie hat ihren Pass mitgenommen, ihre Sachen, ihre Medikamente. Sie ist weg. Ihre Mitbewohnerin hat gesagt, sie hätte gepackt und die Wohnung verlassen.«
    »Weiß die Mitbewohnerin, wo sie hin ist?«
    »Hast du sie vergewaltigt, Pete?«
    »Ob ich … Wie bitte? Ob ich sie vergewaltigt habe? Sie vergewaltigt?«
    »Wendy sagt, ihr Gesicht sei verletzt gewesen, und an den Schlafsachen, die sie anhatte, war Blut.«
    »Wie bitte … was soll ich?«
    »Warst du in ihrer Wohnung, Pete?«, fragte Iris.
    Nein, Iris – das konntest du nicht
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