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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Autoren: Sándor Márai
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Nähe meines Vaters befand. Dennoch ging ich an diesem frühen Morgen nur zögernd voran. Vielleicht spürte ich, dass ich an eine gefährliche Krümmung des großen Wanderweges meines Lebens gekommen war.
    Ich packte die Lanze mit beiden Händen und ging zu den Ställen, weil ich mir zuerst ein fettes Rind besorgen wollte. Aber da rannte schon mit wahnsinnigem Gekläff eine Hundemeute auf mich zu. Zwei von ihnen stieß ich nieder, heulend verendeten sie im Staub. Der Dritte, eine geifernde Hündin, verbiss sich in meiner Schulter. Ich brüllte auf. Auf mein Geschrei hin trat ein Mann unter den Säulen des Hauses hervor. In einer Hand hielt er eine Fackel, in der anderen ein langes Schwert. Er war schon alt, doch immer noch ein Furcht einjagender Mann mit mächtigen Schultern. Seine struppigen, buschigen Brauen, sein üppiger Bart – diese schneeweiße Haarpracht loderte Unheil verkündend im Dämmerlicht. In seinen Augen brannte ein jugendliches, bösartiges Licht. Er kam auf mich zu und erhob wortlos, mit mächtigem Schwung sein Schwert gegen mich. Mit der beißenden Hündin in der Schulter sprang ich mit sicherem und routiniertem Schritt auf ihn zu und stieß ihm den vergifteten Rochenstachel der Lanze in die Brust. Ich hatte gut getroffen, zwischen die dritte und vierte obere Rippe, so wie immer. Der Alte stürzte zu Boden, Blut sprudelte aus seiner Brust. Mit einem Arm fasste ich den Körper des sehnigen, mächtigen Greises und stützte ihn, meine andere Hand riss ihm die Lanzenspitze aus der Wunde. Sein Blut floss über meine Hand. In dem Augenblick, in dem das Blut meines Vaters auf meine Hand rann, breitete sich ein neues Gefühl der Vertrautheit in meinem Körper aus. Zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich so etwas wie familiäre Wärme.
    XVI
    Meine großartige Frau Penelope versichert, mein Vater habe mich sofort erkannt. Ich bin bescheidener und zweifle daran. Meiner Ansicht nach hat er eher die Lanze erkannt, denn seine gebrochenen Augen prüften voller Abscheu und mit dem bekannten Flackern im Blick das Erinnerungsstück. Jedenfalls erkannte er mich als seinen Sohn an. Das tat mir gut. Mit erkaltenden Lippen sagte er ein paar Worte darüber, dass er lieber von meiner Hand sterbe als von der Hand seines legitimen Sohnes Telemachos. Diese Bemerkung tat mir weh. Doch in den fürchterlichen Augenblicken hatte ich nicht die Möglichkeit, eine Erklärung dafür zu verlangen.
    Als Penelope und die Dienerschaft aus dem Haus herbeieilten, traf der Sterbende ruhig und mit gesetzten Worten seine Verfügungen. Er sprach wie jemand, der sich der göttlichen Fügung bewusst ist, aber auch seine persönliche Stärke kennt. Er redete wie jemand, der weiß, dass seine Worte über sein Leben hinaus Kraft haben. Und wir hörten zu, nahmen seine Befehle entgegen und erfüllten sie.
    Diese Befehle sind schwer verständlich. Was wollte mein Vater, als er – im Widerspruch zu menschlichem Takt und Sitten – uns, seine Söhne und seine Frauen, einander in die Arme legte? In meiner uralten Heimat, auf der Insel Aiaia, wo ich jetzt wieder lebe, zusammen mit meiner strahlenden, wenn auch schon etwas betagten Frau und meinem Schwager Telemachos sowie mit meiner Mutter, diskutieren wir oft über den wahren Sinn seiner Befehle. Ich habe ihm den Tod gegeben, wie es mir meine Mutter befohlen hatte. Aber wieso wollte er, dass wir dieses Leben führen? Er legte uns einander in die Arme, kreuz und quer: Sein Sohn umarmt meine Mutter, ich schließe seine Witwe in die Arme. Was wollte Ulysses damit? Meine Mutter meint, seine mit der heiligen Kraft des Todes beglaubigten Befehle wollten nichts anderes, als diejenigen zu vereinen, mit denen mein Vater dem Blut gemäß – so oder so – verbunden war. Ulysses, so sagt meine Mutter, glaubte an den menschlichen Geist und das menschliche Blut und an sonst nichts. Penelope sagt, den Lichtbringer konnte man noch nie verstehen und auch nie ganz kennen. Vielleicht wollte er nichts anderes als Rache. Wirklich, seine Absicht ist schwer zu durchschauen. Die Götter schweigen, Hermes schaut nicht zu uns, und seit Ulysses gestorben ist, meidet auch Pallas Athene ihre alte Freundin, meine edle Frau, die Witwe des Städtezerstörers. Sie schweigen und meiden uns, als wäre Ulysses der letzte Mensch gewesen, in dessen Schicksal sich die Götter noch unmittelbar einmischen durften.
    Sicher ist nur, dass wir alle vier nach seinem Befehl weiterleben. Meine fürchterliche und großartige Mutter hat auch
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