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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Autoren: Sándor Márai
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meiner Erinnerungen: der zu mir passende, meinem Alter sich anschmiegende Mann. Aber er war immer unterwegs.« Helena zuckte mit den Schultern. »Was konnte ich tun?«
    »Die Nachwelt«, sagte ich höflich und bemühte mich, ehrfürchtig zu sprechen, wie es sich für mein Alter und meine Erziehung gehörte, »wird die Berechtigung deines Verhaltes sicher anerkennen.«
    »Glaubst du?«, fragte Helena misstrauisch. »Ich weiß nicht. Dein Vater war ein Mann und hat mich richtig gesehen. Er sah eine Frau in mir … Dafür bin ich ihm dankbar.« Ihre Stimme klang warm, und ihre Augen blitzten auf. »Noch jetzt sehe ich vor mir, wie er sich während der Belagerung zu mir nach Troja geschlichen hat. Er war verkleidet, trug einen Bart, aber ich erkannte ihn sofort. So wie ein Schlafender den Blitz auch durch die geschlossenen Augen spürt, so sah ich durch die Verkleidung, dass dein Vater vor mir stand. Er hatte sich als Bettler verkleidet und war gekommen, um zu spionieren. Er hat die tödliche Gefahr auf sich genommen, nur um mich noch einmal zu sehen. Mit seinem brillanten Verstand hat er rechtzeitig begriffen, was der wahre Grund für den großen Aufbruch, den Krieg, die Unternehmung der prahlerischen und erbarmungslosen Männer, der Helden und Plünderer, der Betrüger und Metzellüstigen war … Er sprach es nicht aus, er ließ seine Gefährten, die großsprecherischen Krieger und meinen edlen, aber nicht allzu scharfsinnigen, alten Mann in dem Irrglauben, der die Griechen in den Kampf gerufen hatte. Doch dein Vater kannte die Wahrheit. Er hat keine Memoiren geschrieben, wie die vielen eitlen, traurigen alten Männer, die mit Worten beweisen wollen, wozu sie mit Taten nicht die Kraft hatten«, sagte sie kalt und verächtlich. »Er kam unter Lebensgefahr, um mit mir eine Nacht in der belagerten Burg zu verbringen. Das ist seine große Schuld. Und das ist es, was mein wohlgeharnischter, Wein liebender Mann ihm nicht verzeihen kann. Ulysses hat nicht um eine Wahnidee gekämpft, sondern um mich. Denn dann ging er wieder zu den Kriegern, aber er, er allein wusste, was er über den Krieg um Troja zu denken hatte. Er wusste, dass es auch eine andere Geschichte gibt … mein Leben, sein Leben. Er war ein Mann, ja … Er war ein Mann, also war er untreu«, sagte Helena, als sei das natürlich, und zuckte mit den Schultern.
    »Was lässt du ihm ausrichten?«, fragte ich andächtig. »Was soll ich meinem Vater sagen, wenn ich ihm einmal begegne?«
    Helena sah mich mit verschleierten Augen an.
    »Sag ihm«, – sie flüsterte, stützte sich im Sitzen auf ihren Stock und beugte sich nah zu meinem Gesicht –, »was du in Sparta gesehen hast! Sag ihm, dass du einen alten Mann gesehen hast, der sich für einen Helden hält, aber in Wirklichkeit die letzte Zeit seines Lebens mit geschwätzigem Prahlen weinselig im Rausch verbringt. Und dieser Mann ist mein Mann. Die Welt denkt, er wäre ein Held und erhaben! Aber dein Vater wusste, dass das Erhabene, wenn es nicht die Selbstironie mit ihrem Lächeln durchdringt, immer plump ist. Sag ihm, dass mich dieser Mann nach Ägypten geschleppt hat, wo er mich in einer Art Ehegefangenschaft hielt wie eine Sklavin! Er wollte Rache! Er hat geglaubt, mit der gewaltsamen Sklavenschaft könnte er mein erkaltetes Herz erobern, in dem auch heute gefährliche Erinnerungen brennen … Erinnerungen, die das Blut aufwallen lassen!« Jetzt sprach Helena lauter. Ihre heisere Stimme wurde von einer eigenartigen Leidenschaft belebt. »Sag deinem Vater alles; alles, was du in Sparta gesehen und erfahren hast! Sag ihm, dass das Sparta, das er kannte, als er ein junger Freier im Haus von Tyndareos, meinem hehren Vater, war, nicht mehr existiert! Jetzt ist es die trostlose Welt der Tyrannen und Sklaven. Er und ich, wir erinnern uns noch an eine Welt, in der die Männer geherrscht haben, die echten Männer, in Sparta und in Troja! So, wie auch dein Vater einer war. Ein Mann, der nicht Sklave sein kann und nicht Tyrann sein will. Wie selten ist das! Hierher, in das Haus der zu Tode erschreckten Sklaven, der schlachthoferprobten Soldaten, der seelenlos ihren Dienst verrichtenden Staatsbeamten, der auf Befehl schreibenden und singenden Schriftgelehrten hat mich mein Mann, der siegreiche Heerführer, zurückgeschleppt! Oh, wie oft habe ich die Götter gebeten, sie mögen mich in Troja sterben lassen!« Mit einer eleganten Bewegung hielt sich Helena wieder das Taschentuch an die Augen. »In Ulysses’ Armen sterben
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