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Die Frau vom Leuchtturm - Roman

Titel: Die Frau vom Leuchtturm - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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verwandelten sich langsam in Zweifel und schließlich in die Überzeugung, dass Bobby irgendwie überlebt hatte. Bis ich schließlich, so sehr ich es auch versuchte, das Gefühl nicht loswurde, dass jemand einen grotesken Fehler begangen hatte. Er konnte einfach nicht fort sein.

    Und selbst das logisch unanfechtbare Wissen, dass ein solcher Irrtum nicht möglich war, trug nicht dazu bei, meine Schuldgefühle und meinen Schmerz zu lindern.
    Ich begann mir einzubilden, dass ich flüchtige Blicke auf Bobby erhaschte, wie er in einem U-Bahn-Waggon an mir vorbeifuhr oder sich auf der anderen Seite einer vielbefahrenen Straße in einen Hauseingang drückte. Zu diesem Zeitpunkt begannen mich meine wilden Tagträume von seiner sicheren Rückkehr zu verfolgen, so dass ich schließlich um meinen Verstand fürchtete.
    Wie vorauszusehen war, versicherte mir meine Therapeutin Laura in ihrer kompetenten klinisch-distanzierten Art, mit meinem Verstand sei durchaus alles in Ordnung. Ich würde an nichts leiden, was die Zeit und die moderne Pharmakologie nicht heilen könnten. Daher verschrieb sie mir ein Antidepressivum und schickte mich in eine Trauergruppe aus noch mehr armen Seelen, die genau wie ich kürzlich einen geliebten Menschen verloren hatten.
    Ich ging zu einem Gruppentreffen, bei dem ich haltlos schluchzend mit einer ebenfalls untröstlichen jungen Mutter trauerte, deren fünfjähriger Sohn, der ein entlaufenes Kätzchen hatte einfangen wollen, direkt vor einen Bus in Midtown gelaufen und sofort tot gewesen war. Danach fühlte ich mich schlechter als zuvor.
    »Nun ja, Selbsthilfegruppen sind eben nicht für jeden was.« Mit dieser Bemerkung und einer kleinen, abwinkenden Geste ihrer perfekt manikürten Hand tat Laura beiläufig ihren ersten Versuch ab, meine Seelenqualen zu beenden. Anschließend schrieb sie mir ein neues, stärkeres Antidepressivum auf und schlug vor, ich solle eine
Weile wegfahren, vorzugsweise an einen Ort, an dem ich wenig oder gar keine Zeit mit Bobby verbracht hatte. Einen Ort, der keine Erinnerungen an ihn barg.
    Ich betete, dass sie Recht haben würde, denn ich hatte eigentlich nicht vor, den Rest meines Lebens in Trauer zu verbringen. Daher warf ich Lauras neues Rezept weg und machte mich auf den Weg zu Damon, meinem Partner in der Agentur für die Schätzung und Authentifizierung von Antiquitäten, die wir vor einem halben Dutzend Jahren, als wir noch bettelarme Kunststudenten waren, gegründet hatten.

2. Kapitel
    Wie soll ich Damon beschreiben? Auch nach zehn Jahren Freundschaft fällt es mir immer noch schwer, meinen seltsamen und witzigen kleingewachsenen Partner in Worte zu fassen, die nicht hoffnungslos abgedroschen sind.
    Nun, sein Äußeres lässt sich schon beschreiben. Stellen Sie sich, wenn Sie können, ein Gewirr von Dreadlocks vor, die ein glänzendes, rundes, ebenholzschwarzes Smiley-Gesicht umgeben. Setzen Sie diesen skurrilen Kopf in Gedanken auf einen kleinen, komischen Körper, der exakt so breit wie lang ist. Jetzt kleiden Sie diese schräge Kreation in eine Garderobe, die zu glänzenden Trikots und wallenden Ärmeln neigt, wie sie der schlechten Highschool-Produktion eines Piraten-Musicals entsprungen sein könnte, und Sie haben ein ungefähres Bild von Damon.
    Das Auftreten meines seltsamen Freundes passt perfekt zu seinen Kleidern. Denn er ist immer extravagant, häufig haarsträubend und manchmal einfach nur albern. Bobby hatte einmal scherzhaft bemerkt, Damon erinnere ihn an ein Michelinmännchen auf Speed.
    Damon ist schlicht und einfach brillant und besitzt ein Auge, mit dem er aus hundert Metern Entfernung die nicht ganz passende Rundung an Füßen aus dem 19. Jahrhundert erkennt, die ein schlauer Mensch in der
hinterlistigen Absicht, damit den Wert des Möbelstücks um einige Zehntausend Dollar zu erhöhen, einer provenzalischen Anrichte aus dem 17. verpasst hat. Wenn man ihn ein paar Minuten in Ruhe lässt, damit er Schubladen aufziehen und das Stück genau ansehen kann, wird er das Holz allein anhand seiner Maserung und Farbe identifizieren und seine Herkunftsregion genau benennen können. Gibt man ihm noch ein paar Minuten, kann Damon wahrscheinlich das genaue Jahr der Herstellung und den Namen des Schreiners angeben und wird Sie womöglich noch darüber informieren, dass es der jüngste Sohn des Mannes, der taubstumm war, gewesen ist, der dieses winzige, exquisit geschnitzte florale Relief an den Fronten der Schubladen hinzugefügt hat.
    Auf dem heiß
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