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Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen
Autoren: Qiu Xiaolong
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verstehen. Normalerweise mußte seine Abteilung einen Fall nur dann übernehmen, wenn er vom Präsidium als »speziell« klassifiziert war, und zwar aus offenkundigen oder verdeckt politischen Gründen. Dieses Etikett wurde einem Fall also immer dann angehängt, wenn sich das Präsidium gezwungen sah, auf politische Notwendigkeiten zu reagieren.
    »Na ja, es ist die Rede davon, daß ein Sonderdezernat für Triaden-Morde eingerichtet werden soll. Es kann durchaus sein, daß dieser Fall klassifiziert wird. Schließlich wissen wir noch nicht, ob es sich tatsächlich um einen Triaden-Mord handelt.«
    »Wenn es einer ist, dann ist das eine ganz schön heiße Kartoffel. Eine, an der man sich die Finger verbrennt.«
    »Da mögen Sie recht haben«, erwiderte Chen und merkte sehr wohl, worauf Yu hinauswollte. Kaum ein Polizist wollte mit einem Fall zu tun haben, in den die Geheimgesellschaften verstrickt waren.
    »Mein linkes Augenlid zuckt schon den ganzen Morgen. Das ist kein gutes Zeichen, Chef.«
    »Also wirklich, Hauptwachtmeister.« Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, die jedesmal das I Ging befragten, bevor sie einen Fall übernahmen, war Oberinspektor Chen nicht abergläubisch. Und falls er Aberglauben in seine Erwägungen mit einbeziehen würde, dann spräche vieles für diesen Mordfall, denn in diesem Park hatte sein Schicksal einst eine positive Wendung genommen.
    »In der Schule habe ich gelernt, daß Chiang Kai-shek mit Hilfe der Shanghaier Gangster an die Macht gekommen ist. Einige seiner Minister waren Mitglieder der Blauen Triade.« Yu machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: »Nach 1949 wurden die Gangster verfolgt, aber in den achtziger Jahren hatten sie, wie Sie wissen, ihr Comeback.«
    »Das ist mir klar.« Die ungewöhnliche Beredsamkeit seines Assistenten überraschte Chen. Normalerweise berief Yu sich nicht auf Bücherwissen oder historische Fakten.
    »Diese Gangster sind inzwischen vielleicht sehr viel mächtiger, als wir ahnen. Sie haben ihre Organisationen in Hongkong, Taiwan, Kanada, den Vereinigten Staaten und sonstwo in der Welt. Ganz zu schweigen von den guten Verbindungen, die sie zu den führenden politischen Kreisen hier haben.«
    »Ich habe Berichte darüber gelesen«, sagte Chen. »Aber wozu gibt es schließlich die Polizei?«
    »Ein Freund von mir hat einen Job als Schuldeneintreiber für einen Staatsbetrieb in der Provinz Anhui bekommen. Er sagt, auf legalem Weg geht da gar nichts mehr; er ist völlig auf die Triaden angewiesen. Heutzutage scheint kaum noch jemand Vertrauen in die Gesetzeshüter zu haben.«
    »Aber jetzt, wo mitten im Herzen von Shanghai, im Bund-Park, ein Verbrechen geschehen ist, können wir doch nicht tatenlos zusehen«, sagte Chen. »Ich war zufällig heute morgen hier im Park. Mein Pech. Lassen Sie mich mit Parteisekretär Li darüber reden. Zumindest werden wir einen Bericht machen und eine Meldung mit dem Foto des Toten rausschicken. Er muß identifiziert werden.«
    Als die Leiche endlich abtransportiert worden war, gingen Oberinspektor Chen und sein Assistent zum Ufer und lehnten sich an die Mauer. Der entvölkerte Park wirkte befremdlich. Chen holte eine Schachtel Zigaretten heraus, es waren »Kent«. Er steckte eine für Yu an, dann eine für sich selbst.
    ›»Man weiß, daß es nicht machbar ist, aber man muß es trotzdem tun.‹ Das ist eine der konfuzianischen Maximen meines verstorbenen Vaters.«
    Yu erwiderte in verbindlichem Ton: »Was immer Sie entscheiden, ich bin dabei.«
    Chen konnte Yus Erwägungen nachvollziehen, wollte seine eigenen jedoch nicht diskutieren. Die emotionale Bedeutung, die der Bund-Park für ihn hatte, war Privatsache. Es gab gewisse politische Gründe, diesen Fall zu übernehmen. Wenn das organisierte Verbrechen an diesem Mord beteiligt war, wie er vermutete, so würde dies das Image der Stadt schädigen. Auf Postkarten, in Filmen, sogar in seinen eigenen Gedichten symbolisierte der Bund-Park das Herz Shanghais, und als Polizei-Oberinspektor hatte er den Ruf seiner Stadt zu schützen. Es lief schlicht und einfach darauf hinaus, daß im Park ein Mord geschehen und er als erster vor Ort gewesen war.
    »Danke, Hauptwachtmeister Yu«, antwortete er dem Kollegen. »Ich weiß, was ich an Ihnen habe.«
    Als sie den Park verließen, sahen sie, daß sich am Vordereingang eine Menschentraube gebildet hatte. Ein Aushang informierte die Besucher, daß der Park wegen Verschönerungsarbeiten für den Rest des Tages geschlossen bliebe.
    Wenn
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