Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen
Autoren: Qiu Xiaolong
Vom Netzwerk:
einem tete-ä-tete mit einer amerikanischen Beamtin zu ermuntern.«
    »Ich weiß ja nicht, woher Sie Ihre Informationen beziehen, aber ich finde das durchaus typisch für ihn – immer politisch korrekt, aber kein Schritt zuviel.«
    »Werden Sie eines Tages auch so sein?«
    »Das kann niemand voraussehen, und das wissen Sie.«
    »Ich weiß. Aber was passiert mit Ihnen, Oberinspektor Chen?« Sie starrte in ihre Teeschale. »Ich meine, wann steht Ihre nächste Beförderung an?«
    »Das hängt von vielen Unwägbarkeiten ab, Faktoren, die außerhalb meiner Kontrolle liegen.«
    »Auch ohne Ihr Zutun sind Sie politisch gesehen ein aufsteigender Stern.«
    »Müssen wir die Zeit bis zu Ihrem Abflug mit Politik vergeuden?«
    »Nein, das werden wir nicht, aber wir müssen in ihr leben, ob wir wollen oder nicht. Das ist eine dieser modernistischen Theorien, über die Sie doziert haben, Oberinspektor Chen. Und ich lerne schnell, was die chinesische Lebensart angeht.«
    »Jetzt werden Sie sarkastisch, Catherine«, sagte er und versuchte, das Thema zu wechseln. »Zehn Tage hier sollten genügen. Ich hoffe, Sie verfolgen Ihre sinologischen Interessen weiter.«
    »Das werde ich bestimmt. Vielleicht belege ich einen Abendkurs in Chinesisch.«
    Er hatte erwartet, daß sie noch einmal auf die Ermittlungen zurückkommen würde. Sie hatte alles Recht, weitere Fragen zu stellen, aber sie tat es nicht.
    Es gab da ein paar Dinge, die er vorhin im Besprechungszimmer nicht hatte erwähnen wollen. Zum Beispiel hatte er von Gu erfahren, daß die Bandenmitglieder Anweisung gehabt hatten, keine Waffen zu tragen, als sie den Oberinspektor und seine amerikanischen Partnerin verfolgten. Das lag, laut Gu, an Chens Verbindungen zu den höchsten politischen Kreisen. Die Triade wollte sich ihn nicht zum Feind machen. Außerdem hätte die Regierung in Peking nicht wegschauen können, wenn ein U. S. Marshal in China getötet worden wäre. Das erklärte auch, warum alle früheren Zwischenfälle zwar bedrohlich, aber nie lebensgefährdend gewesen waren.
    Sie stellte ihre Schale ab und holte ein Foto aus der Handtasche. »Ich habe noch etwas für Sie.«
    Das Bild zeigte ein junges Mädchen, das in einem Straßencafe saß und Gitarre spielte, ihr schulterlanges Haar schimmerte im Sonnenlicht, und ihre Sandalen baumelten über einer Messingtafel, die in den Gehweg eingelassen war.
    Er erkannte die Frau auf dem Bild sofort. »Das sind Sie, Catherine.«
    »Ja, vor fünf oder sechs Jahren in einem Cafe an der Delmar. Sehen Sie diese Messingtafeln? Es gibt über ein Dutzend davon, genau wie in Hollywood, nur daß die hier verewigten Berühmtheiten alle etwas mit St. Louis zu tun haben. Eliot ist natürlich auch dabei.«
    »Ist das eine dieser Gedenktafeln?«
    »Die von Eliot«, sagte sie. »Entschuldigung, ich wollte mich Ihrem Lieblingsdichter gegenüber nicht respektlos zeigen.«
    »Im Gegenteil, das hätte ihm bestimmt gefallen – ein hübsches, singendes Mädchen mit Sonne im Haar, das ihre Sandalen über seiner Gedenktafel baumeln läßt.«
    »Ich habe meine Mutter gebeten, das Foto herauszusuchen und mir zu schicken. Es ist das einzige, das mich in Verbindung mit dem Dichter bringt.«
    »Ein sehr schönes Bild!«
    »Vielleicht werden Sie eines Tages dort sitzen, über Eliot reden und mit dem Kaffeelöffel Erinnerungen aufrühren, während der Abend sich am Himmel entfaltet.«
    »Das würde mir gefallen.«
    »Es ist ein Versprechen, Oberinspektor Chen. Sie stehen doch auf der Einladungsliste der U.S. Nachrichtenagentur, nicht wahr?« sagte sie. »Behalten Sie das Foto. Wenn Sie an Eliot denken, dann denken Sie – ab und zu wenigstens – auch an mich.«
    »Ich werde längst nicht so oft an Eliot denken wie …« Hier unterbrach er sich. Das wäre eine Grenzüberschreitung. Etwas Verbotenes. Plötzlich sah er sich im Bund-Park Spazierengehen und hörte, wie Eliot es formuliert hatte, die Meerjungfrauen singen, eine für die andere, aber keine für ihn.
    »Und ich freue mich darauf, weitere Gedichte von Ihnen zu lesen, auf englisch oder chinesisch.«
    »Ich habe gestern abend, während ich neben Liu im Wagen saß, ein paar Zeilen zu formulieren versucht, aber mir kam bloß zu Bewußtsein, was für ein schlechter Dichter ich bin – und ein ebenso schlechter Polizist.«
    »Warum sind Sie so hart mit sich?« Sie griff über den Tisch hinweg nach seiner Hand. »Sie tun in einer sehr schwierigen Situation Ihr Bestes. Ich verstehe das.«
    Aber da war vieles, was
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher