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Die Frau meines Lebens

Die Frau meines Lebens

Titel: Die Frau meines Lebens
Autoren: Nicolas Barreau
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»Sagen Sie …«
    »Dimitri?«
schrie die alte Dame unbeirrt weiter. »Sprich lauter, mein Jungchen, ich kann
dich kaum hören!« Sie hatte unverkennbar einen russischen Akzent, und ich sah
plötzlich den Geist Anastasias auferstehen, der verschollenen Tochter des
letzten Zaren. Inzwischen war sie eine verschrumpelte Hundertjährige, saß mit
wirrem Haar und Spitzennachthemd in einer Pariser Altbauwohnung, schlürfte Tee
aus dem Samowar und rief ab und zu »Dimitri-Dimitri« ins Telefon.
    »Bitte,
Madame«, versuchte ich es noch einmal. »Ich bin nicht Dimitri. Ich wollte nur
fragen …«
    »Aaah, das
ist schön, daß du anrufst! Wann kommst du, mein Jungchen! Habt ihr schön
gespielt? Ich frrreue mich so. Deine Cousine frrreut sich so. Wir alle!«
    Die Alte
war offensichtlich verrückt. Oder taub. Oder beides zusammen. Aber vielleicht
war sie der Weg zu Isabelle. Ich holte tief Luft.
    »Hier ist
Antoine!« schrie ich in den Hörer so laut ich konnte. » ANTOINE! NICHT! DIMITRI! « Ich machte eine Pause und hoffte, daß meine Worte in
Paris, St. Petersburg angekommen waren.
    Die Alte
schwieg. Dann fragte sie mißtrauisch:
    »Antoine?
Sind Sie ein Freund von Dimitri? Kommen Sie morgen auch zur Hochzeit?«
    »Nein … ja …
ich …« So hatte es keinen Sinn. Ich beschloß, alle Erklärungen wegzulassen. Das
würde die alte Anastasia nur unnötig verwirren.
    »Kann ich
bitte Isabelle sprechen? Es ist dringend«, sagte ich langsam und betonte jede
Silbe.
    Die alte
Dame summte glücklich den Donauwalzer, und ich verlor die Beherrschung.
    »Wohnt bei
Ihnen eine Isabelle?« schrie ich sie an.
    Der Walzer
erstarb.
    »Isabelle? – Nein, die wohnt nicht hier«, entgegnete
die Zarentochter streng. »Schreien Sie nicht so, ich bin nicht taub.« Dann
kehrte sie übergangslos zu ihrem Lieblingsthema zurück. »Aaah … Dimitri … so
eine Freude! Hat er so eine schöne Braut gefunden. Schöner als die schöne
Wassilissa.« Sie kicherte wie ein junges Mädchen. »Das ganze Orchester wird
spielen zur Hochzeit«, sagte sie verträumt. Dann schien sie sich wieder an mich
zu erinnern. »Kommen Sie auch zur Hochzeit von Dimitri?«
    »Nein!«
schrie ich und legte auf, bevor sie noch einmal Dimitri sagen konnte. Ich
denke, es hätte auch kein gutes Ende genommen, wenn ich bei Dimitris Hochzeit
aufgekreuzt wäre. Falls die überhaupt stattfand und nicht nur die Erfindung
einer durchgeknallten alten Russin war.
    Mürrisch
zückte ich mein Notizbuch, strich die 6 durch und schrieb »Gaga-Russin/Dimitri«
dahinter.
    Das
Cola-Dosen-Orakel von Paris hatte jedenfalls nicht viel gebracht. Im Grunde war
es genauso ein Reinfall gewesen wie das Orakel von Delphi. Wenn es wirklich
drauf ankam, halfen einem diese blöden Orakel nämlich auch nicht weiter. Am
Ende konnte man sich doch nur auf sich selbst verlassen.
    Der Himmel
hatte sich verdüstert. Der Park leerte sich. Mittlerweile war es vier Uhr. Und
ich hatte noch vier Versuche.

5
    Seit
genau einer Stunde telefonierte ich nun schon der Frau meines Lebens hinterher.
Eine ganz neue Erfahrung. Eine Scheiß-Erfahrung. Ich mußte an all die Frauen
denken, die sich bei mir beschwert hatten, weil ich nicht zurückgerufen hatte.
    Ich war
erschöpft. Es war anstrengend, in so viele Mikrokosmen einzutauchen, auf der
Suche nach der einen Supernova.
    Ich wählte
die nächste Nummer. Wieder meldete sich eine Frau, die Stimme klang jung und
französisch. Ich hörte laute Musik und meinte Coralie Clement zu erkennen, die
in voller Lautstärke ein Liedchen hauchte.
    »Ja,
bitte?«
    Ich nannte
meinen Namen und fragte, ob ich mit Isabelle sprechen würde.
    »Nein …
hier ist Natalie …«
    Es wäre
    auch zu schön gewesen. Ich sah mich schon die Nummer 7 von meiner Liste
streichen. Doch dann sagte das Mädchen am Telefon etwas, was mich von jetzt auf
gleich ins Universum der Glückseligen katapultierte.
    »Kann ich
etwas ausrichten?«
    »Heißt das,
Sie kennen Isabelle?« Ich war so aufgeregt, daß mir fast die Stimme versagte
und meine Frage mehr gekrächzt als gesprochen klang.
    »Ja, klar«,
antwortete sie erstaunt. »Wir wohnen zusammen, aber sie ist grad nicht da.«
    »Oh, mein
Gott! Das ist ja wunderbar«, rief ich ekstatisch. Ich sprang von der Bank auf
und vollführte einen kleinen, irren Tanz. Das war bon , das war sogar su-per-bon ,
das war das Beste, was mir je in meinem Leben passiert war.
    »Was? Daß
sie nicht da ist?« fragte das Mädchen amüsiert.
    »Nein, nein«,
beeilte ich mich zu
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