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Die Frau meines Lebens

Die Frau meines Lebens

Titel: Die Frau meines Lebens
Autoren: Nicolas Barreau
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fast alle Pariser
meidet sie die Orte, die von Touristen heimgesucht werden. Was das angeht, ist
sie ein echter Snob. Ich aber bin in Arles aufgewachsen und kam erst mit
siebzehn Jahren nach Paris – vielleicht habe ich deswegen so erschreckend wenig
Berührungsängste mit touristischen Attraktionen.
    Ich gehe
gern ins Flore, der Kaffee ist gut und stark, die Kellner unerschütterlich und
die Tarte tatin nicht zu verachten, wenn man karamelisierten Apfelkuchen mag,
der als solcher nicht mehr zu erkennen ist.
    Na ja, ich
gebe zu, auch die Vorstellung, in einem Café zu sitzen, das einst ein
Literatentreffpunkt war, gefällt mir – trotz der Rucksacktouristen, die den Geist von Simone und Jean-Paul auch mal
atmen wollen, und den ewig kichernden Japanermädchen, die nach dem
Power-Shoppen mit Hunderten von schönen bunten Papiertüten an jeder Hand hier
einfallen wie ein Schwarm exotischer Vögel und sich gegenseitig fotografieren.
    Als ich
heute das Café betrat, mich an den Holztischen, den Kellnern und der
Kuchenvitrine vorbeischlängelte, um die Treppe zum ersten Stock zu nehmen – dort
ist es meistens ruhiger als unten –, ahnte ich also noch nichts. Ich ahnte auch
noch nichts, als ich mit einem flüchtigen Blick bemerkte, daß mein
Lieblingsplatz ganz hinten in der Ecke besetzt war. Jemand saß dort hinter
einer Zeitung, und ich ließ mich an einem anderen Tisch nieder, bestellte einen
Kaffee und zwei Croissants und blätterte in einem kleinen Büchlein von Editions
Stock, einem modernen Liebesroman, der, wenn man der Ankündigung des Verlages
Glauben schenken durfte, daherkam wie ein französisches Chanson.
    Vis à vis
wurde die Zeitung mit einem leisen Rascheln zusammengefaltet und zur Seite
gelegt, und als ich noch einmal hinüber sah zu der Lederbank, auf der ich
eigentlich hätte sitzen sollen, traf mich fast der Schlag.
    Meine Güte,
der Schlag, man sagt das immer so, und es ist ein so leichtfertig bemühtes
Bild. Und doch war es genau das, was passierte, und ich hoffe, Sie sehen es mir
nach, daß mir nichts Poetischeres oder Originelleres einfällt, um diesen einen
magischen Moment zu beschreiben, an dem Zeit für mich eine neue Bedeutung
bekam, ein Engel mich mit seinem Flügel streifte und die Welt auf ganze zehn
Quadratmeter zusammenschrumpfte.
    Eine junge
Frau mit langem honigblondem Haar saß da wie vom Himmel gefallen und sah mich
mit großen braunen Augen an. Helle braune Augen, in denen winzige Goldpartikel
zu tanzen schienen.
    Sie
lächelte kurz, und ihr Blick verweilte einen Augenblick länger auf mir als
nötig. Oder bildete ich mir das bloß ein? Mir wurde heiß und kalt. Fast wäre
mir das Buch aus der Hand gefallen. Und wenn schon! Was sollte ich mit einem
Roman, der wie ein Chanson war, wenn mein eigenes Leben gerade anfing im Samba-Rhythmus
zu schlagen?
    Da saß SIE . Die Frau meines Lebens. Einfach so!
    Es klingt
ziemlich sonderbar, aber obwohl ich noch nicht ein einziges Wort mit ihr
gesprochen hatte, wußte ich, daß es dieses Gesicht war, das ich immer vor Augen
gehabt hatte und nach dem ich gesucht hatte, ohne es zu wissen, wenn ich meinen
Freundinnen den Laufpaß gab.
    Krampfhaft
umklammerte ich mein kleines Buch. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf.
Ich mußte die Schöne am Nachbartisch ansprechen. Aber wie?
    Was, um
Himmels willen, sagt man in solch einer Situation?
    »Hallo, ich
bin Antoine. Halten Sie mich nicht für verrückt. Wir kennen uns noch nicht,
aber Sie sind die Frau meines Lebens.« Lächerlich.
    »Entschuldigen
Sie … aber Sie kommen mir so bekannt vor, kennen wir uns?« Der älteste
Anmachspruch der Welt! Phantasielos und plump.
    »Hat Ihnen
schon mal jemand gesagt, daß Sie wunderschöne Augen haben?« Also wirklich, das
sagt man, wenn einem gar nichts mehr einfällt!
    Ich bin
sonst nicht auf den Mund gefallen und habe schon so manches Mädchen mit schönen
Worten rumgekriegt, aber das hier, das war was anderes, und die Angst, das
Falsche zu sagen und das Ganze zu versieben, ließ mich jeden Satz, den mein
Hirn mir vorschlug, verwerfen.
    » Voilà, Monsieur! « Der Kellner kam und
stellte ein kleines Silbertablett mit Croissants, heißer Milch und Kaffee vor
mich hin, während sein professionell-gelangweilter Blick bereits die frei
gewordenen Tische nach abzuräumendem Geschirr absuchte.
    Die Frau
meines Lebens ließ derweil anmutig ein Tütchen Zucker in ihren Jus d'orange
rieseln. Ich hätte ihr am liebsten jeden einzelnen ihrer wunderhübschen
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