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Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau in Rot: Roman (German Edition)
Autoren: Margot S. Baumann
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Doch ihr blieb keine Zeit, sich zu zieren. Hinter ihr hatte sich Marie bereits erhoben und drängte sie aus der Kutsche, deshalb verzog sie nur das Gesicht, griff nach der dargereichten helfenden Hand und stieg aus.
    Es war später Nachmittag. Sie hatten ihr Ziel endlich erreicht. Die Sonne schien durch das Blätterdach einiger hoher Eichen und malte goldene Kringel auf den festgestampften Lehmboden. Sie waren das letzte Stück Weg durch eine schattige Allee gefahren und hatten danach vor einer Steinbrücke angehalten, die zum weit geöffneten Schlosstor führte. Es roch penetrant nach fauligem Wasser und Pferdedung.
    Bernhardine reckte ihren verkrampften Rücken und fächelte sich Luft zu. Noch immer war es schwül. Unter ihrer Perücke juckte es höllisch, aber sie unterdrückte den Drang, sich zu kratzen. Im Wassergraben, der die wuchtige Burg umgab, blühten Seerosen. Darüber tanzten Mückenschwärme im schwindenden Licht des Tages.
    Sie schaute sich interessiert um. Die Bediensteten waren in ländliche Kleidung gewandet: Kniehosen, einfache Leinenhemden, Schlapphüte. Sie sah keinen einzigen, der Livree trug. Die meisten gingen barfuß oder hatten klobige Holzpantinen an den Füßen. Ein zerlumpter Junge mit Haaren wie Stroh kümmerte sich um die Pferde. Ein Ärmel seines Hemdes war oben an der Schulter zusammengenäht. Er warf den Ankömmlingen scheue Blicke zu und zog lautstark den Rotz hoch. Bernhardine wandte sich angeekelt ab. Sie legte den Kopf in den Nacken und betrachtete den Bergfried. Er lag bereits im Schatten und wirkte bedrohlich. Der Rundbau erhob sich gleich hinter der Auffahrt, sein trutziger Anblick hatte früher sicher zur Abschreckung feindlicher Soldaten beigetragen. Das Schloss selbst war nicht unattraktiv. Aber mit den Patrizierhäusern in Bern konnte es in keiner Weise mithalten. Eine feste Steinmauer mit Zinnen, aber ohne Wehrgang, umgab die verschiedenen Gebäude, die sich auf zwei Inseln erhoben und durch einen gemauerten Gang miteinander verbunden waren. Über den Burggraben wölbte sich eine hölzerne Zugbrücke mit schweren Ketten auf beiden Seiten. Gelb-schwarz bemalte Holzläden prangten an den winzigen Fenstern, die Schießscharten ähnelten.
    Marie und ein grobschlächtiger Mann, der den Posten des Gutsverwalters, des Meiers, innehatte, kümmerten sich um das Gepäck. In der kommenden Woche würde Bernhardines Mitgift eintreffen. Darunter auch ihre Aussteuertruhe mit den Bettlaken und dem neu eingestickten Monogramm: B.v.H. für Bernhardine von Hallwyl. Der Name klang fremd. Ob sie sich je an ihn gewöhnen würde? Sie versuchte, die aufsteigenden Tränen zurückzudrängen, als sie die abschätzenden Blicke der Leute um sich herum spürte, die wie Ameisen über ihren Körper krabbelten. Sie würde hier bald die Herrin sein und durfte sich vor den Angestellten keine Blöße geben. Daher presste sie ihren Beutel an die Brust und ging erhobenen Hauptes über die Brücke auf das Eingangsportal zu. Als sie durch den Torbogen schritt, klatschte etwas vor ihren Füßen auf den Boden. Ein blutgetränktes, fedriges Ding, das zuckte und krächzte. Erschrocken sprang sie zur Seite und prallte gegen den einarmigen Buben, der bei ihrer Ankunft die Pferde versorgt hatte.
    »Verzeihn Se. Ich krieg für jeden Schwarzrock ’n Stück Brot.«
    Der Junge grinste und zeigte dabei seine verfaulten Zähne. Dann griff er nach der Krähe, klemmte sie sich zwischen die Beine und drehte ihr mit einer einzigen Bewegung den Hals um. Das Tier erschlaffte. Der Knabe steckte sich die Steinschleuder in den Hosenbund, schnappte sich den Kadaver und stob zu den Pferden zurück. Bernhardines Magen rebellierte. Sie packte den Arm des Meiers, um nicht zu straucheln.
    »Entschuldigen Sie, Herrin, aber die Krähen sind hier wirklich eine Plage. Ich …«
    Sie brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen, ging weiter und betrat den Innenhof. Dort herrschte geschäftiges Treiben. Knechte luden einen Karren ab, der mit prallen Säcken beladen war, und trugen diese anschließend durch einen Torbogen in einen Schuppen. Ein kleines Mädchen, barfuß und schmutzig wie ein Jagdhund nach der Fuchsjagd, scheuchte eine Gänseschar über den Hof.
    Bernhardine schüttelte ärgerlich den Kopf. Hatte man die Dienerschaft denn nicht auf ihre Ankunft vorbereitet?
    »Wir hatten die Herrschaften später erwartet«, sagte der Meier, als hätte er ihre Gedanken erraten, »haben aber natürlich einen Willkommenstrunk angerichtet. Wenn
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