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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror
Autoren: Elisabeth Elo
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Boston zurück, und Thomasina begleitete mich. Wir mieteten uns Wohnungen nur ein paar Blocks voneinander entfernt in Brookline, einer überwiegend noblen, stellenweise heruntergekommenen, ur­ba­nen Gegend, und lebten jeder sein Leben. Ich begann in unserem Familienunternehmen zu arbeiten, einer Parfümfirma, benannt nach meiner Mutter, Inessa Mark. Thomasinas Eltern – einer von ­ihnen in Frankreich, der andere an der Westküste – hatten haufenweise Geld und ein unendlich schlechtes Gewissen, was unter dem Strich bedeutete, sie musste nie arbeiten.
    In der ersten Zeit feierten Thomasina und ich ohne Sinn und Verstand. Die schickeren Bars langweilten uns bald; all diese Typen in ihren Brooks-Brothers-Anzügen nahmen sich selbst viel zu ernst. Wir tendierten immer mehr zu den schäbigeren Spelunken, besonders unten in der Hafengegend. Fischer und Hafenarbeiter klebten uns buchstäblich an den Fersen. Wir genossen die Macht, die wir hatten, und schmeichelten uns selbst damit, überall wo wir hinkamen, Herzen zu brechen.
    Dann lernte Thomasina Ned kennen, und die beiden zogen sich aus der Barszene zurück, um in ihrem vermeintlichen Liebesnest zu kuscheln. Ich soff und flirtete noch eine Weile weiter, bis ich die lahmen Anmachsprüche der rülpsenden Idioten nicht mehr hören konnte, und schrieb mich an der UMass Boston ein, um Russisch und russische Literatur zu studieren. Ich vermute, es war so eine Art Suche nach den eigenen Wurzeln – mein Versuch, das russische Wesen zu verstehen und zu meiner russischen Vergangenheit eine Beziehung aufzubauen. Es hat nicht funktioniert. Ich war nicht sicher, wonach ich wirklich suchte, und so war’s auch keine große Überraschung, als ich es nicht fand. Aber ich lernte, einigermaßen gut Russisch zu sprechen, auch wenn ich dazu bislang nicht viel Veranlassung hatte.
    Es erstaunte mich nicht wirklich, als Thomasinas und Neds Beziehung zerbröselte. Er war Sohn irisch-italienischstämmiger Arbeiter aus South Boston, sie eine brillante, privilegierte und faule Bilderstürmerin. Anfangs schienen sie das alles locker zu überwinden. Sie strahlten sich an wie zwei Engel, in denen Megawattbirnen brannten. Diese Phase hielt, wie ich verwundert feststellte, fast drei Monate. Dann muss er wohl gedacht haben, zumindest von seiner Seite wäre nun alles Wesentliche gesagt, und fing an, nur noch ausdruckslos zu glotzen und sich unpassend am Sack zu kratzen. Woraufhin sie die volle Wucht ihres unterforderten Intellekts mit demütigenden Bemerkungen demonstrierte, die so brillant satirisch waren, dass er sie nicht mal verstand. Der Alkohol führte die zwei an den Rand von Gewalttätigkeiten – ruinierte Abendessen, zerschlagene Teller und Nachbarn, die aus dem Fenster brüllten, sie sollten die Schnauze halten. Sie konnte ihm seine Schlichtheit einfach nicht verzeihen. Als Noah zur Welt kam, waren die beiden längst getrennt.
    Sie hatten nie geheiratet, und Neds Eltern sowie seine Schwester weigerten sich anzuerkennen, dass Noah überhaupt mit ihnen verwandt war. Sie zogen die Version vor, Thomasina hätte Ned bezirzt, für die Brut eines anderen Kerls herzuhalten. Um ehrlich zu sein, habe ich Neds Vaterschaft auch in Frage gestellt und weiß, dass Ned von Zeit zu Zeit verdutzt war, ein so geniales Kind gezeugt zu haben, das weder ihm noch irgendwem sonst, den er kannte, ähnlich war. Aber Ned war immer ein guter Vater, zumindest so gut, wie jemand es unter diesen Umständen sein kann. Er bestand darauf, Unterhalt zu zahlen, obwohl kein Gericht es verlangt hatte und Thomasina nicht darauf angewiesen war. Er kaufte Tickets für die Bruins, Red Sox und Patriots. Winter, Sommer, Herbst – Ned und Noah machten immer ihre Ausflüge. Er holte Noah jedes zweite Wochenende ab – Mittag essen und ein Besuch im Park oder der Bibliothek, abhängig vom Wetter. Wenn Thomasina darum bat, holte er ihn sogar von der Schule ab. Manchmal erlaubte Thomasina Ned, über Nacht zu bleiben, und wenn er es tat, schien er dankbar dafür zu sein. Ich stelle mir vor, wie er versuchte, seine Southie-Manieren zurückzufahren und nicht zu blöd rüberzukommen. Für etwas Zärtlichkeit tun die Menschen so ziemlich alles.
    Doch obwohl Ned seinen Anteil übernahm, war Thomasina als alleinerziehende Mutter überfordert. Ihre Eltern, die schon keine Zeit für ihre einzige Tochter hatten, waren noch viel weniger an ihrem Enkelkind interessiert, und auch in die Schulpflegschaft passte sie nicht so recht. Doch nichts
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