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Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)

Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)

Titel: Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)
Autoren: Rafik Schami
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Generationen von Pädagogen vehement vertraten. Die Wahrheit des Spiels ist viel komplizierter. Es ist eine Straße, die in beide Richtungen führt, mit Ampeln, Kreuzungen und Sackgassen. Wer sich auf das Spiel mit Kindern einlässt und seinen pädagogischen Mantel an der Garderobe abgibt, wird später zu schätzen wissen, was ihm das helle Lachen eines Kindes gegeben hat. Sicher können Kinder eine Menge von Erwachsenen lernen, aber sie ermöglichen ihnen im Gegenzug, verloren geglaubte Bereiche ihres Lebens wiederzugewinnen, sich im besten Sinn zu wundern und über kleine Dinge Freude zu empfinden.
    Ich werde den alten Mann nicht vergessen, der uns Kindern eine Weile höchst amüsiert beim Spielen zugeschaut hatte und dann zu seiner Frau sagte: »Das Spiel ist das beste Geschenk des verlorenen Paradieses.«
    Beim Spiel entsteht ein unsichtbarer, aber von Kindern/Spielern wahrgenommener Planet, der mit der umgebenden Welt kaum oder gar nichts zu tun hat. Dort herrscht nicht das Chaos, wie sich manche Erwachsene einbilden, sondern es gibt Ge- und Verbote. Sie sind älter als alle Gesetze der Welt, und die Spieler gehorchen ihnen freiwillig, solange sie mitspielen. Außerhalb dieses Planeten wirken diese Gesetze oft komisch oder gar lächerlich.
    Ein merkwürdiger Planet ist das Spiel. Weder Religion, Hautfarbe noch ethnische Zugehörigkeit oder politische Überzeugung spielen hier eine Rolle. Ein Tor, ein gelungener Schachzug, eine erfolgreiche Backgammonstrategie, ein geglückter Matchball im Tennis oder ein meisterhaft geführter Murmelschuss wird anerkannt, ohne all das zu berücksichtigen, was sonst diesen Menschen ausmacht. Er ist Spieler, und das genügt.
    Auch die Zeit wird auf diesem Planeten anders wahrgenommen. Sie vergeht schneller als die Zeit außerhalb. Der Ruf »Ich komme gleich« hat eine besondere Bedeutung, wenn ihn ein Mensch ausspricht, der in sein Spiel versunken ist.
    Doch Spielen ist wie so vieles keine Konstante, sondern eine Variable, die sich durch die Jahrhunderte, abhängig von den Umständen, verändert hat und weiter verändert. Wird heute von Kinderspielen gesprochen, so denkt man an erster Stelle an Spielzeug, das in seiner Ausstattung sehr aufwendig ist. Je aufwendiger es aber ist, umso schlichter wird die Bedienung. Am Computer oder Spielautomaten ist das deutlich zu sehen. Die Tätigkeit beschränkt sich über Stunden hinweg auf die Bewegung einiger weniger Finger. Dabei werden Welten erobert, Reiche zerstört und lebensechte Killer und Monster besiegt, und das alles in perfekter Dreidimensionalität.
    Ein simpler, mit Luft gefüllter Ball dagegen verlangt ganzen Körpereinsatz. Und noch kleinere stumpfe Kugeln aus einfachen Materialien haben mir alles abverlangt, was meine Augen und Hände, Atemtechnik und Körperhaltung an Präzision, Schubkraft, Ziel- und Treffsicherheit aufbieten konnten.
    Bereits die babylonischen, chinesischen und germanischen Kinder spielten mit Murmeln. In China fand man Murmeln aus dem dritten Jahrtausend v.Chr., und in Ägypten lagen sie als Beigabe im Grab eines Kindes. Auf Kreta spielten die Kinder mit Murmeln bereits im zweiten Jahrtausend v.Chr.
    Auch im alten Rom liebten die Kinder das Murmelspiel. Es wird sogar erzählt, der römische Kaiser Augustus habe immer Murmeln bei sich gehabt. Wenn er Kinder mit Murmeln spielen gesehen habe, habe er sich zu ihnen gesellt, seine Murmeln herausgeholt und zum Entsetzen seiner Berater und Begleiter mit den Kindern gespielt. Auch im Mittelalter fanden Murmeln in allen europäischen Ländern ihre Liebhaber. Auf dem großartigen Gemälde »Kinderspiele« malte der flämische Maler Pieter Brueghel der Ältere achtzig verschiedene Spiele, darunter auch das Murmelspiel.
    Zur Herstellung der kleinen Kugeln wurden die unterschiedlichsten Materialien verwendet: Marmor, Tonerde, Holz, Achat, und in der Moderne immer mehr auch Glas. Bereits 1848 produzierte man in Lauscha (Thüringen) Murmeln aus buntem Glas, handgefertigt. Hauptabnehmer waren die USA. Dort waren die Murmeln so beliebt, dass die Amerikaner sie je nach Beschaffenheit, Farbe und Material klassifizierten und katalogisierten (Solide Core Swirls, Divided Core Swirls, Ribbon Core, Banded Swirls, Joseph’s Coat Swirls, Peppermint Swirls etc.).
    Deutschland war bis zum Ersten Weltkrieg führend in der Produktion von Murmeln. Als der Krieg ausbrach, beeilten sich die Amerikaner, ihren eigenen Markt zu beliefern, und erfanden die notwendigen Maschinen, um die
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