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Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)

Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)

Titel: Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte: Oder wie ich zum Erzähler wurde (German Edition)
Autoren: Rafik Schami
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später mit ins Exil genommen, aber irgendwann war sie mir verlorengegangen.
    Ich habe sie jahrelang vermisst, bis sie plötzlich aus einem meiner Koffer herausrollte. Ich werde den Augenblick nie vergessen. Ich nahm sie in die Hand, streichelte und küsste sie, und dann steckte ich sie in meine Tasche, weil sie auf dem Dachboden eisige Kälte hatte ertragen müssen. Als ich sie nach einer Stunde wieder in die Hand nahm, schien sie sich auch zu freuen. Sie glitzerte, als würde sie gerade ein Feuerwerk widerspiegeln. Unglaublich! Der Himmel über meinem Kopf war dunkel, und in meiner Hand blitzte die große Murmel.
    Es dauerte nur ein paar Sekunden, aber Murmeln können das.

WARUM GROSSVATER NICHT SCHLAFEN KONNTE
     
    In Damaskus erlebte ich Zuhörer, die sich so in die erzählten Geschichten hineinversetzten, dass sie Partei für die verfeindeten Helden ergriffen. Manchmal spaltete sich das Publikum in zwei Lager, die sich wegen einer fiktiven Schlacht, einer Hochzeit, wegen Lob oder Tadel im Saal heftig stritten.
    Und einmal sah ich im Vorbeigehen drei Männer den großen Saal des Cafés mit Girlanden, frischen Blumen und bunten Luftballons schmücken. Einen von ihnen kannte ich. Er war ein Freund meines Vaters. Als ich ihn nach dem Anlass fragte, erwiderte er gutgelaunt: »Wir feiern heute Abend Hochzeit.« Ich wollte schon weitergehen, denn eine Hochzeit war das Selbstverständlichste auf der Welt. Dann jedoch erstarrte ich, denn der Mann fügte seelenruhig hinzu: »Heute Abend heiratet der Held der Geschichte seine Geliebte, für die er seit dreißig Nächten gekämpft hat. Der Erzähler hat es angekündigt. Sag deinem Vater, er soll etwas früher kommen, sonst findet er keinen Platz.«
    Mein Großvater war damals bei uns zu Besuch. Als ich ihm von der Hochzeit erzählte und mich über die Leute lustig machte, bremste er mich in meiner dümmlichen Ironie. »Du kennst die Geschichte doch gar nicht. Du hörst dich an wie einer, der behauptet, er verstehe nicht, warum den Damaszenern das Wasser im Mund zusammenläuft, wenn sie Tabbuleh und Kebbeh hören.«
    »Das ist doch klar, Tabbuleh und Kebbeh schmeckenhimmlisch«, erwiderte ich, nicht ahnend, dass ich in die Falle gegangen war.
    »Eben, das sagst du, weil du davon Ahnung hast. Aber das Gleiche sagen diejenigen, die Geschichten genießen. Wenn du mit einem Helden gelitten hast, kannst du dich über die Erfüllung seiner Liebe so freuen, als wäre es deine Liebe. Ich kenne die Geschichte. Sie ist sehr bewegend, und der Erzähler Abu Omar hat eine göttliche Stimme. Es gibt bestimmt eine kleine Feier heute Abend.«
    Am Abend zogen sich er und mein Vater feierlich an und gingen ins Kaffeehaus. Als sie später zurückkamen, erzählten sie begeistert von der Hochzeit und von den Bonbons, die nur so auf die Zuhörer herabgeregnet waren, und von den leckeren Keksen, die der Wirt und seine Gehilfen den Zuhörern gratis serviert hatten, aus reiner Freude über die Hochzeit.
    Am nächsten Tag kamen wir, mein Großvater und ich, bei einem Spaziergang wieder auf die Erzählkunst zu sprechen. Man muss so erzählen, sagte er, dass der Zuhörer meint, mit einem Fuß in ihrer Welt zu stehen. Er verriet mir, warum er einmal nachts nicht hatte schlafen können. »Ich lebte damals in Damaskus und trieb Handel mit Getreide und allerlei Körnern und Samen. Jeden Abend ging ich ins nahe gelegene Kaffeehaus. Dort erzählte der Hakawati eine Abenteuergeschichte, die mich faszinierte und die Mühe des Tages vergessen ließ. Eines Nachts unterbrach der Erzähler die Geschichte dort, wo der Held am Balkon seiner Geliebten im dritten Stock hing. Gemeinerweise hatte der Hakawati zum Abschied sogar noch hervorgehoben: ›Übrigens, ich habe vergessen zu sagen, dass es in jener Nacht stürmisch und regnerisch war.‹
    Ich konnte nicht schlafen. Klettert der Arme hinauf oder rutscht er am nassen Geländer ab und stürzt in den Tod? Und wenn er stirbt, was passiert dann mit seiner Angebeteten? Mein Bett verwandelte sich in ein Nagelbrett, und ich wälzte mich bis Mitternacht hin und her. Es blieb mir am Ende nichts anderes übrig, als das Haus des Hakawati aufzusuchen, bei ihm anzuklopfen und untertänig zu gestehen, ich könne nicht schlafen. Er solle den Helden hinaufklettern oder herunterfallen, aber nicht in der Schwebe lassen.
    Der Hakawati, wahrscheinlich an solche unruhigen Seelen gewöhnt, verlangte eiskalt einen Extralohn für die Beruhigung. Ich zahlte, und der Hakawati sagte leise:
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