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Die Flucht: Roman (German Edition)

Die Flucht: Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht: Roman (German Edition)
Autoren: Jesus Carrasco
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begann. In wenigen Minuten kreiste der Hund eine Gruppe brauner Ziegen ein und trieb sie dem Hirten zu. Ohne sich zu erheben, fing dieser mit Hilfe eines Stocks, an dessen Ende ein stumpfer Haken befestigt war, eine Geiß an einem Hinterbein ein und zog sie zu sich heran. Mit einer Hand hielt er sie fest, mit der anderen warf er die Decke beiseite, um das Tier zwischen den Beinen einzuklemmen. Verblüfft über die unverhoffte Wendigkeit des Mannes, dem es gerade noch schwergefallen war, sich eine Zigarette anzuzünden, beobachtete der Junge diese Aktion. Als der Alte die Ziege so herumgeschoben hatte, dass sie mit dem Hinterteil direkt vor seinem Gesicht stand, stellte er einen Blechkübel unter ihr Euter. Zu Anfang prallte jeder Strahl scheppernd auf den Boden des Gefäßes und entlockte dem Blech einen metallenen Klang. Als er genug hatte, verpasste der Hirte der Ziege einen Klaps, worauf die sich mit ein paar Sätzen wieder zu den anderen gesellte. Danach streckte er das Gefäß dem Jungen hin und stellte es, als dieser sich nicht vom Fleck rührte, schließlich auf dem Boden ab, um sich wieder seiner Zigarette zuzuwenden.
    Schweigend nagten sie an schwitzigen Käsekeilen, Streifen von Trockenfleisch und ein wenig hartem Brot. Der Ziegenhirt genehmigte sich lange Schlucke aus seiner ledernen Weinflasche, und der Junge überlegte, wann derHirte ihn wohl fragen würde, wer er sei und was er an diesem Ort zu suchen habe. Er fürchtete, die Nachricht von seinem Verschwinden könne bis zu ihm vorgedrungen sein. Ihm war klar, dass er sich noch nicht weit genug vom Dorf entfernt hatte, so mühselig sich sein Abenteuer auch gestaltet hatte. Irgendwann kam ihm der Verdacht, die Freundlichkeit des Alten könne eine Finte sein, um ihn festzuhalten, bis seine Häscher oder gar der Polizeiwachtmeister höchstpersönlich ihn holen kämen. Für diesen Fall wusste er bereits, wie er reagieren würde. Er würde zu den Feigenkakteen rennen und sich zwischen den Stauden verstecken. Die scheuenden Pferde würden einen Bogen um die Stacheln machen, sich nicht hineinwagen. Wenn sie ihn heimbringen wollten, müssten sie ihn mit Gewalt hinauszerren. Sie würden sich blutig kratzen, ihre Hemden zerfetzen oder ihn vom Sattel herab mit Kugeln durchsieben und obendrein den Zeugen erschießen müssen.
    Als der Alte das Frühstück für beendet hielt, griff er in ein kleines Erdloch neben sich und zog ein zerknittertes Blatt Zeitungspapier hervor. Darin wickelte er etwas Proviant ein und hielt das Päckchen dem Jungen hin, der ihn nur anstarrte, bis der Hirte es wie zuvor mit der Milch leid wurde und das Päckchen auf den Boden legte. Den restlichen Proviant verstaute er wieder in seinem Ranzen und bat den Jungen erneut, ihm aufzuhelfen. Als dieser sich ihm näherte, schlug ihm ein ganzes Gemisch von Körpergerüchen entgegen: das süßliche Aroma des Weines, das den Kopf des Hirten umschwebte, und der säuerliche Geruch der getrockneten Schweißschichten auf dessenlederner Gesichtshaut. Aufrecht stehend überragte er den Jungen kaum. Seine Hose war mit einer Kordel um die Taille gebunden, und seine Stiefel wirkten wie aus Pappe. Sobald er ihm aufgeholfen hatte, wich der Junge ein paar Schritte zurück und verfolgte aus einiger Entfernung die Bewegungen des Mannes, die von Minute zu Minute behender wurden. Wieder wunderte sich der Junge, mit welcher Leichtigkeit der Mann sich bewegte, wie er den Rücken krümmte, um die Decke aufzuheben und zusammenzufalten. Sie hing noch über seinem Arm, als er ein weiteres Mal nach dem Hund pfiff, der sogleich aufsprang und in die Richtung loseilte, in der die restlichen Ziegen weideten. Der Alte ging zur Hütte, steckte den Kopf durch die Öffnung zwischen den Zweigen, die als Eingang diente, und zog einen Korkschemel und einen Blechkübel hervor. Er nahm die Milchkanne vom Haken und trug alles in das kleine rechteckige Gehege. Derweil hatte der Hund die Herde zusammengetrieben und führte sie bellend und mit Schnappgebärden dem Hirten zu. Als sie ankamen, öffnete der Mann den Pferch an einer Ecke und drängte die Ziegen hinein. Sobald sie alle im Gehege waren, rammte er den Pflock wieder fest und verband die vier Eckpfähle mit einer groben Drahtschlinge, die an einem von ihnen herabhing. Die eng zusammengepferchten Tiere begannen heftig blökend überund untereinander zu steigen, sodass es im Gehege zuging wie in einem brodelnden Kochtopf.
    Vor die Ecke, an der er die Ziegen eingelassen hatte,
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