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Die Flucht: Roman (German Edition)

Die Flucht: Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht: Roman (German Edition)
Autoren: Jesus Carrasco
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plazierte der Mann den Blechkübel. Boden und Öffnung des Gefäßes, das den Jungen an den Eimer erinnerte, densie daheim benutzt hatten, um die Latrine zu leeren, hatten den gleichen Durchmesser. Der Alte drückte den Kübel fest in den staubigen Boden und drehte so lange am oberen Rand, bis er sicher stand und nicht mehr wackelte. Dann zog er eine Deichsel und drei rostige Stangen aus dem Inneren des Behälters hervor. Er reinigte den Boden um den Eimer von Lehmresten und fing an, die Metallstäbe eng um das Gefäß herum in den Boden zu bohren. Er prüfte noch einmal, ob der Kübel wirklich festsaß, dann setzte er den Schemel vor den Melkeimer und ließ sich darauf nieder. Der Junge hatte sich nicht von der Stelle gerührt und staunend alle Handgriffe beobachtet.
    Von seinem Schemel aus zog der Alte den Eckpfahl wieder heraus und schuf eine Öffnung im Zaun. Schließlich streckte er eine Hand aus und packte eine der Ziegen am Bein, zog sie heraus und stellte sie mit dem Hinterteil über den Eimer vor sich. Er griff nach den Zitzen, richtete sie über dem Eimer in Position und begann zu melken. Während die Hände beschäftigt waren, blickte er zum Himmel, als suchte er nach Vorboten von Regen. Wie ein Pantograph imitierte der Junge aus der Entfernung die Bewegungen des Alten und erforschte ebenfalls den Himmel. Allmählich hellte sich das Gewölbe über ihren Köpfen auf, bis die letzten Sterne verblasst waren. Die Sonne, die sich hinter den Bergen im Osten ankündigte, würde jeden Moment über dem Gebirgskamm auftauchen. Keine Spur von Wolken.
    Der Junge wandte sich dem Ziegenhirten zu. Der steckte mit dem Kopf fast im Hintern des Tieres undzerrte unwirsch an den Zitzen. Der Alte wirkte nervös. Unruhig trat die Geiß gegen das Blech und versuchte auszubüchsen, sodass der Hirte ihr die Beine an zwei Stecken festband. Erst als er fertig war, machte er die Ziege los, die sofort in Richtung Pappeln davonpreschte, um sich beim Knabbern an den Spitzen der tieferhängenden Zweige zu beruhigen.
    Eine Ziege nach der anderen wurde gemolken. Der Junge sah, wie der Kübel sich füllte, und wunderte sich, was der Hirte hier in der Einöde mit der ganzen Milch anfangen wolle. Nachdem die Arbeit erledigt war, stand der Alte auf und trug den Eimer zu der Stelle, an der die Milchkanne hing, befüllte sie und schraubte den Deckel zu. Erst jetzt wandte er sich dem Jungen zu und sagte: »Mir ist egal, ob du ausgerissen bist oder dich verlaufen hast.«
    Die Bemerkung traf den Jungen wie ein Schlag, und er verschwand wieder hinter einem Kaktus. Der Alte machte eine lange Pause.
    »Gleich kommen ein paar Männer, um die Milch abzuholen.«

3
    D en restlichen Vormittag vertrieb sich der Junge im spärlichen Schatten eines verdorrten Mandelbaums. Ein einsames Exemplar, das auf einem alten Grenzrain stand, den man beim letzten Pflügen zu beiden Seiten aufgeschüttet hatte. Von dort aus überblickte er das gesamte Umland, sodass er sich, sollten seine Häscher anrücken, geschwind verstecken oder entlang des Grenzrains robben und entkommen konnte. Wenige Meter von seinem Platz entfernt, schlängelte sich der Weg, der ihn hergeführt hatte, den Hang abwärts weiter gen Norden.
    Während er hier saß, hatte er den Weg schon Dutzende Male mit dem Blick verfolgt. Zuerst ein einsamer Olivenhain zur Rechten, dann eine abfallende Kurve um einen Hügel herum, auf dessen Spitze eine Palme emporragte. Und weiter hinten etwas, das aussah wie ein Feigenbaum. Dahinter tauchte der Weg immer wieder in den sanften Hängen des Geländes ab und verlor sich schließlich hinter der letzten Erhöhung drei oder vier Kilometer weiter in nördlicher Richtung.
    Er besann sich noch einmal auf seine Begegnung mitdem Ziegenhirten. Dachte daran, wie der Hund an seiner Hand geschnuppert und der Mann mit gekrümmtem Rücken dagesessen und geraucht hatte.
    Mittags rann ihm ein Schweißtropfen über die Stirn und fiel auf seine Hose, wo er auf dem Stoff sofort verpuffte. Er zog das Hemd aus, breitete es vor sich hin und kippte den Inhalt seines Proviantbeutels darauf. Seine Habseligkeiten trennte er von der Verpflegung, die ihm der Hirte abgegeben hatte: drei Streifen getrocknetes Ziegenfleisch, straff wie die Streichriemen der Barbiere, eine Käseschwarte zum Abnagen und eine leere Viertelliterbüchse. »Die wird dir nützen«, hatte der Alte am Morgen gesagt, als er sie ihm vor die Füße geworfen hatte.
    »Die wird dir nützen«, wiederholte er dort im brütenden
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