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Die Finsternis

Die Finsternis

Titel: Die Finsternis
Autoren: Kate Falls
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benötigten – Filteranlagen für frisches Wasser, Küchen und Vorratsspeicher, Sauerstoff und Wärmegeneratoren. Und das Schiff war auf jeden Fall so alt und ramponiert wie die Townships, die ich bisher gesehen hatte.
    »Ist das ein Wrack?«, fragte Gemma.
    Ich zuckte die Schultern, obwohl das eine vernünftige Erklärung zu sein schien. Warum sollte das Schiff sonst in dem Müllstrudel versenkt worden sein? Townships konnten zwar auch unter Wasser fahren, doch soweit ich wusste, blieben die meisten mit ganz oder teilweise zurückgeklapptem Dach an der Meeresoberfläche – je nach Typ des Schiffes. Also war das wahrscheinlich wirklich ein Wrack. Aber was für eine Verschwendung, es hier zu versenken, denn es hätte gut als Ersatzteilspender verkauft werden können.
    Ich konnte weder erleuchtete Aussichtsfenster noch Bewegungen oder irgendwelche anderen Lebenszeichen im Inneren des Schiffes entdecken, wohingegen es an der Außenseite nur so von Leben wimmelte. Genau genommen hatte sich dort ein eigenes kleines Ökosystem entwickelt. Seepocken hatten sich an die Fenster geheftet, Krabben kletterten durch das Seegras, das aus der Seitenverkleidung zu sprießen begann, und überall tummelten sich Fischschwärme.
    Mit meinem Tauchermesser kratzte ich die Algen von einem der Fenster, doch alles, was ich sah, war mein leuchtendes Spiegelbild. Ich tippte auf den kleinen Tauchcomputer an meinem Handgelenk, der mit meinem Taucheranzug verbunden war, und stellte die Lampen an meinem Helm heller. Nachdem ich das Licht zu einem Strahl gebündelt hatte, richtete ich es direkt auf das Fenster und schreckte überrascht zurück. Ein Junge hockte mit einer Decke über den Schultern zusammengesunken auf der Fensterbank. Sein Kopf ruhte auf den verschränkten Armen, als wäre er beim Hinausspähen eingeschlafen.
    Wenn er auf einem Township lebte, war er ein Surf – so wurde die »Überschussbevölkerung« genannt. Ich konnte mich nicht erinnern, einen wie ihn schon mal gesehen zu haben. Sein Schädel war kahl rasiert und geometrische Tätowierungen umrahmten sein Gesicht. Andererseits hatte ich aber überhaupt noch nie die Gelegenheit gehabt, einen Surf aus dieser Nähe zu betrachten.
    »Was ist los?«, fragte Gemma. »Was siehst du?«
    Ich bedeutete ihr zu warten und klopfte mit dem Griff meines Messers gegen das Plexiglas. Der Junge wachte nicht auf. Er zuckte nicht einmal zusammen.
    Unbehagen machte sich in mir breit wie kalter Nebel. Nichts deutete darauf hin, dass die Maschinen des Townships in Betrieb waren. Keine Turbine brummte. Kein Licht war zu sehen. Kein Blasenstrom stieg auf, also gab es auch keinen Sauerstoff. Und es war keine Wärme zu spüren.
    Ich schauderte, als mir schließlich bewusst wurde, dass ich gerade versucht hatte, eine Leiche zu wecken. Und noch unheimlicher war, dass der Junge so aussah, als sei er wie ich fünfzehn Jahre alt.
    »Hast du da drin etwa einen Toten entdeckt?«, fragte Gemma plötzlich. »Das siehst du dir doch gerade an, oder? Einen toten Menschen?«
    Als ich nickte, legte sie den Rückwärtsgang ein und nahm eine Bootslänge Abstand.
    Ich ließ mich weiterhin vor dem Fenster treiben, obwohl mein Brustkorb wehtat, als hätte ich zu viel Liquigen inhaliert. Wer auch immer der Junge war, er konnte schon eine ganze Weile tot sein. Vielleicht sogar seit Jahren. Sein Körper war so gut erhalten, dass es schwer zu sagen war. Der fehlende Sauerstoff und die eisigen Wassertemperaturen hatten das Township in einen riesigen begehbaren Gefrierschrank verwandelt.
    »Ty«, klang Gemmas Stimme leise in meinem Ohr. »Komm wieder an Bord. Wir werden per Funk Hilfe anfordern.«
    Das hörte sich gut an. Ich war ganz sicher nicht scharf darauf, in einer Geisterstadt herumzustöbern, doch ein Gedanke hielt mich davon ab, zum U-Boot zurückzuschwimmen. Was, wenn da drin noch jemand am Leben war und Hilfe brauchte?
    Angesichts des Seegrases, das an der Außenwand Wurzeln geschlagen hatte, war es zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber nur weil das Township an dieser Stelle verankert war, musste es nicht unbedingt die ganze Zeit außer Betrieb gewesen sein. Was, wenn dieses Schiff schon eine Weile hier vor Anker lag und die Maschinen erst vor ein paar Tagen den Geist aufgegeben hatten? Ich musste nach Überlebenden suchen, egal wie sehr mich der Gedanke ängstigte.
    Ich gab Gemma ein Zeichen, dass ich mich im Inneren des Townships umsehen wollte.
    »Sei vorsichtig«, sagte sie nur und mir wurde schlagartig
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