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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Autoren: Giuseppe Furno
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Höhe der Leber versetzen. Riccio schnaubte, stieß Luft aus und schien in sich zusammenzufallen. Andrea dachte an Tonino, an Sofias Schmerz. Er dachte an Lucia Vivarini, an all das Leid, das dieses Ungeheuer verursacht hatte. Er dachte an die Barmherzigkeit und das Vergeben, während der andere sich abmühte, seine Kräfte zu sammeln. An all das dachte Andrea in einem einzigen Moment. Dann traf er Riccio mit der Rechten ins Gesicht, auf die Nase. Etwas gab nach, Knochen brachen, seine Fingerknöchel drangen zwischen den Augen ein. Riccio ließ den Stock fallen und bedeckte sich schreiend das Gesicht mit den Händen. Dann drehte er sich um sich selbst und fiel auf die Knie, neben dem scagno , auf dem das Dodekaeder und der Timaios lagen. Andrea sah das Buch Feuer fangen, er setzte zur Bewegung an, um es zu ergreifen und zu retten, doch im selben Augenblick sah er, wie der Stapel Holz, der zu einem riesigen Scheiterhaufen geworden war, sich nach vorn neigte, wie der untere Teil nachgab und das Ganze wie ein brennender Baum zu Boden stürzte. Zum Nachdenken hatte er keine Zeit. Zwei Schritt entfernt öffnete sich das dunkle Rechteck über dem unterirdischen Raum, er sprang, die Füße voran, hinein, als spränge er von der Klippe ins Meer.
    Das lärmende Prasseln der Lawine aus Feuer ließ Riccio aufblicken. Er hatte nur noch Zeit, die Arme zu heben, dann umarmten ihn die Flammen.
    Andrea und Jacomo krochen zwischen dem flackernden Widerschein des Feuers durch den unterirdischen Gang, dessen Wände mit Holz und istrischem Stein verkleidet waren. Sie kamen zu der Wanne, die Kieselsand enthielt, die erste Komponente des Glasgemenges, dann zu dem überdachten Behälter für Glasbruch, der schon außerhalb der Glashütte lag. Die Flammen loderten hoch auf, kräuselten und streckten sich, wie Schlangen in der Luft tanzend. Die Glocke der Kirche Santo Stefano läutete bereits Sturm, und zwischen dem Knacken des Holzes, dem Klirren platzender Fensterscheiben und stürzenden Balken hörte man die ersten Rufe der Helfer.
    Jacomo zeigte auf ein kleines Boot, das hinter der Glashütte an den Pfählen des Canal grando de Murano vertäut lag. Sie sprangen hinein. Andrea begann zu rudern. Die Stichwunde in der Brust schmerzte, doch mehr Sorgen bereitete ihm Jacomo, den er gerne in das kleine Krankenhaus in San Martino gebracht hätte.
    »Schweig und rudere, wir verschwinden von hier!« Jacomos Befehl kam gebieterisch, trotz seiner Schmerzen verfügte er noch immer über ungeahnte Kräfte und schien sich sogar über diese Bootsfahrt zu freuen. Andrea erkannte, dass es sinnlos war, sich zu widersetzen, und gehorchte.
    Der mit Sternen übersäte Himmel wurde vom Feuer erhellt, und die Wasserstraße des Kanals war gut sichtbar. Zwanzig Ruderstöße, dann kam das Boot hinaus auf die flache, schwarze Ebene der Lagune. Venedig war ein eigenes Firmament, von Cannaregio über die gesamte Länge der Fondamenta Nuova bis nach San Pietro in Castello erstrahlte es noch mit über tausend Lichtern, während sich im Osten der Himmel grau färbte. Obwohl sie den Wind im Rücken hatten, begann das Boot umso stärker zu schaukeln, je weiter sie auf die Lagune kamen. Andrea blickte sich um. Wohin fuhren sie?
    »Seht Ihr diese Lichter?«, fragte der Meister, auf einige im Nichts schwebende Lichtpunkte zeigend. »Dorthin müssen wir fahren.«
    Andrea sah die Lichter vor dem Bug und versuchte, sich anhand der Lage von Murano und der Pfähle, die die Wasserstraße zwischen den Inseln San Michiel, San Cristoforo und Venedig markierten, zu orientieren. An der Stelle, die der Alte angezeigt hatte, gab es kein Land. Es konnte sich nur um ein vor Anker liegendes Schiff handeln. Ein großes Schiff. Er richtete den Bug mit Hilfe des linken Ruders auf die Lichter. Gerne hätte er gefragt, doch er wusste, dass Jacomo ihm nicht antworten würde. Also versuchte er, ihn zu erschrecken.
    »Ihr spielt mit Eurem Leben, Ihr seid verletzt. Ist Euch das bewusst?«
    »Rudern!« Dragan wandte sich zur Feuersbrunst in seiner Hütte um, die den Himmel rot färbte. »Sie werden mich für tot halten, umso besser!« Dann blickte er wieder Andrea an und schien jetzt wirklich zufrieden. »Es tut mir nur um meinen scagno leid, das war wirklich eine gute Arbeitsbank, so robuste Stücke finden sich heute nicht mehr.«

39
    Auf der riesigen Galeone Mondo Novo waren inzwischen alle erwacht und nutzten nun die Bordwände, Stege und Decks an Bug und Heck, um wie Kompassnadeln alle in
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