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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden
Autoren: Dan Simmons
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und sie erkannte, daß Tante Beanie wieder einmal recht gehabt hatte. Wie wir reisen, ist gewöhnlich ebenso unwichtig wie unser Ziel.
    Nur diesmal nicht.
    Eleanor seufzte, beugte sich mühsam vor, um ihren Aktenkoffer unter dem Sitz vor ihr herauszuziehen, und wühlte darin herum, bis sie Tante Kidders kleines ledergebundenes Tagebuch gefunden hatte. Sie tauchte wieder auf und tastete nach dem Schalter für die eingebaute Leseleuchte in der Deckenkonsole. Der Dicke zu ihrer Rechten schnarchte im Schlaf asthmatisch und rollte einen verschwitzten Unterarm auf die Armstütze, so daß Eleanor gezwungen war, ein Stück näher an den Dicken zu ihrer Linken heranzurücken. Ohne hinzugucken, schlug sie das Tagebuch an der richtigen Stelle auf, so vertraut war ihr das Journal.
     
    3. Juni 1866, an Bord der Boomerang
    Obgleich ich noch immer Zweifel ob dieser kurzentschlossenen Reise zu dem Vulkan auf Hawaii hege und mich weit mehr darauf gefreut hatte, eine friedvolle Woche im Gästehaus von Mr. und Mrs. Lymans Mission in Honolulu zu verbringen, habe ich mich gestern dennoch überzeugen lassen, daß dies wohl meine einzige Gelegenheit sein wird, einen »aktiven« Vulkan zu sehen. Und so ging ich dann heute früh gestiefelt und gespornt an Bord und wurde mit fröhlichem Winken von dem munteren Völkchen verabschiedet, das meine vergangenen zwei Wochen mit ebenso erquicklichem wie lehrreichem Zeitvertreib erfüllt hatte. Unsere »Gruppe« besteht aus der älteren Miss Lyman und ihrem Neffen Thomas nebst Pflegerin, Miss Adams, Master Gregory Wendt, dem langweiligeren der Smith-Zwillinge (von denen ich schon berichtet habe, wie sie »herausgeputzt« wie berüschte Pinguine auf dem Ball in Honolulu erschienen sind), Miss Dryton vom Waisenhaus, Reverend Haymark (nicht der gutaussehende junge Pastor, den ich in meinem früheren Bericht erwähnte, sondern ein älterer, korpulenterer Mann Gottes, dessen Marotte, bei jeder Gelegenheit Schnupftabak zu nehmen und sich anschließend herzhaft zu schneuzen, mich zweifelsohne für die Dauer der Überfahrt in meiner Kabine verweilen ließe, würde diese nicht von Küchenschaben wimmeln) und dem rüpelhaften jungen Korrespondenten einer Zeitung aus Sacramento, die ich zu meinem Glück niemals gelesen habe. Der Name des Gentleman ist Mr. Samuel Clemens, aber es spricht wohl Bände über die Ernsthaftigkeit seines Schreibens, daß er sich damit brüstet, unter dem ach so »gewitzten« nom de plumes »Thomas Snodgrass« veröffentlicht zu haben.
    Abgesehen von seiner vulgären Ausdrucksweise, seiner Neigung zu unziemlichen Burschikositäten und seiner Überheblichkeit ob der Tatsache, daß er der einzige Korrespondent auf den Sandwich-Inseln war, als dort vor zwei Wochen die Überlebenden jenes glücklosen Klippers, der Hornet, angetrieben wurden, ist Mr. Clemens recht ungepflegt und noch dazu ein ungehobelter Prahlhans. Seine schlechten Manieren würzt er mit dem beständigen Bemühen, Witz und Wortgewandtheit zu beweisen, doch die meisten seiner Bonmonts sind ebenso kraftlos wie sein welker Schnauzer. Heute, als unser Postschiff, die Boomerang, aus dem Hafen von Honolulu auslief und Mr. Clemens Mrs. Lyman und einigen anderen unserer Gruppe in schillernden Farben seinen fulminanten »Sensationsbericht« über das dreiundvierzig Tage währende Martyrium der Hornet- Überlebenden auf hoher See abgab, kam ich nicht umhin, einige Fragen einzuwerfen. Ich bezog mich dabei auf Kenntnisse, die mir von der reizenden Mrs. Allwyte, der Gattin von Reverend Patrick Allwyte, zugetragen wurden. Mrs. Allwyte, die ehrenamtlich im Hospital tätig ist, hatte sie mir anvertraut, als die Geschichte der Hornet in Honolulu in aller Munde war.
    »Mr. Clemens«, unterbrach ich ihn unschuldig, ganz in der Pose der gebannten Bewunderin, »Sie sagen, Sie hätten mit Kapitän Mitchell und einigen der anderen Überlebenden gesprochen?«
    »Aber ja, Miss Stewart«, erwiderte der rothaarige Korrespondent. »Es war meine Pflicht und darüber hinaus mein berufliches Vergnügen, jene glücklosen Männer zu befragen.«
    »Eine Pflicht, die Ihrem beruflichen Fortkommen zweifelsohne sehr dienlich sein wird«, bemerkte ich zaghaft.
    Der Korrespondent biß das Ende einer Zigarre ab und spuckte es über die Reling, als wäre er in einem Saloon. Er bemerkte nicht, daß Mrs. Lyman zusammenzuckte, und ich tat so, als härte ich es nicht gesehen. »In der Tat, Miss Stewart«, erwiderte der Schreiberling, »ich würde sogar so weit gehen
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