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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden
Autoren: Dan Simmons
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Sie, Will«, sagte Byron Trumbo. Noch immer unter dem prasselnden Wasserstrahl, stützte er seine fleischigen Pranken gegen die tropfende Glaswand und blickte hinunter auf den Park. »Wir werden diesen Ladenhüter an diese Japse verkaufen — den dümmsten Japsenhaufen seit den Generälen, die Hirohito den Rat gaben, Pearl Harbor zu bombardieren... und mit dem Kapital werden wir unser Comeback finanzieren.« Er drehte sich um und sah durch den Wasserstrahl seinen Privatsekretär an. Wasser spritzte wie Spucke von Trumbos fetten Lippen und seinem behaarten Körper. »Bewegung, Will.«
    Will Bryant bewegte sich.
     
     

Kapitel 3
    In meinem Herzen trug ich schon immer die Sehnsucht, mein Leben bis ans Ende der Ewigkeit dort auf den Sandwich-Inseln zu verbringen, hoch oben auf jenen Bergen, vor denen sich das Panorama des blauen Meers ausbreitet.
     
    Mark Twain
     
     
    Als sie einmal gefragt wurde, warum sie sich weigerte zu fliegen, hatte Eleanor Perrys zweiundsiebzigjährige Tante Beanie — sie war zweiundsiebzig, als sie gefragt wurde, jetzt war sie sechsundneunzig und lebte noch immer allein — ein Buch über die Geschichte des Sklavenhandels hervorgeholt und Eleanor eine Zeichnung von Sklaven gezeigt, die eingezwängt in den kaum einen Meter hohen »Zwischendecks« zusammengepfercht waren.
    »Siehst du, wie sie dort liegen mußten, Kopf an Kopf, Fuß an Fuß, angekettet und in ihrem eigenen Kot, die ganze lange Fahrt über?« hatte Tante Beanie gefragt und auf das Bild gezeigt, mit einer Hand, die selbst damals schon knochig und von Altersflecken übersät gewesen war — »Campbell-Soup-Hände« hatte Eleanor sie als Kind im stillen genannt.
    Damals, vor vierundzwanzig Jahren, gerade einundzwanzig geworden und mit einem druckfrischen Abschlußzeugnis vom Oberlin in der Tasche — dem selben College, an dem sie nun unterrichtete —, hatte Eleanor sich die Zeichnung von dem Sklavenschiff angesehen, in dem die Afrikaner wie Feuerholz gestapelt lagen, hatte die Nase gerümpft und gesagt: »Ich sehe es, Tante Beanie. Aber was hat das damit zu tun, daß du dich weigerst, nach Florida zu fliegen, um Onkel Leonard zu besuchen?«
    Tante Beanie hatte verächtlich geschnaubt. »Weißt du, warum sie diese armen Neger wie eine Ladung Melassefässer gestapelt haben, obwohl das bedeutete, daß die Hälfte von ihnen während der Überfahrt starb?«
    Eleanor hatte den Kopf geschüttelt und abermals die Nase gerümpft — diesmal über das Wort »Neger«. Der Begriff »politisch korrekt« war noch nicht geprägt worden, als Eleanor in jenem Jahr, 1970, ihren Abschluß am Oberlin gemacht hatte, aber Begriff hin oder her, es war trotzdem politisch unvertretbar, »Neger« zu sagen, und obgleich Tante Beanie vielleicht von allen Menschen, die Eleanor kannte, die wenigsten Vorurteile hegte, verriet die Sprache der alten Frau doch die Tatsache, daß sie vor der Jahrhundertwende geboren war. »Warum haben sie die Schwarzen da drinnen wie eine Ladung Melassefässer gestapelt?«
    »Geld«, erwiderte Tante Beanie und klappte das Buch wieder zu. »Profit. Wenn sie sechshundert Afrikaner dort unten zusammenpferchten und dreihundert von ihnen draufgingen, machte sich das immer noch mehr bezahlt, als wenn sie vierhundert unter menschenwürdigen Bedingungen mitgenommen hätten und es wären einhundertfünfzig umgekommen. Es ging schlicht und einfach um den Profit.«
    »Ich verstehe immer noch nicht...«, setzte Eleanor an, dann hielt sie inne. Plötzlich begriff sie, worum es ging. »Tante Beanie, so überfüllt sind die Flugzeuge nicht.«
    Die ältere Frau hatte nichts erwidert, sondern nur eine Augenbraue hochgezogen.
    »Gut, zugegeben, sie sind überfüllt«, gestand Eleanor ein, »aber es dauert nur ein paar Stunden, nach Florida zu fliegen, und wenn du dich von Cousin Dick fahren läßt, dauert es zwei oder drei Tage...« Sie verstummte, als sie sah, wie Tante Beanie ihre knochigen Suppenhände auf das Buch über den Sklavenhandel legte, als wolle sie sagen: Glaubst du, die hatten es so eilig, an ihrem Ziel anzukommen?
    Jetzt, vierundzwanzig Jahre später, saß Eleanor in der Economy-Class der 747, eingezwängt zwischen zwei dicken Männern in der fünf Sitze breiten Mittelreihe, und lauschte dem Geplapper der über dreihundert anderen Leute, die eingezwängt hinter ihr saßen, während sie den Kopf über die Rückenlehnen der Sitze vor ihr reckte, um sich das flimmernde Video des gnadenlos zusammengeschnittenen Bordfilms anzusehen,
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