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Die Feenflöte

Die Feenflöte

Titel: Die Feenflöte
Autoren: Gerhard Rose
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vorzugaukeln.
    Catherine wandte sich abrupt um und ging mit wütenden Schritten davon. Am liebsten wäre sie davongerannt, hätte das Konzert sausen lassen. Sie war schon halb auf dem Weg nach draußen, als sie sich besann. Sie machte einen Verlegenheits-Abstecher in den Waschraum um sich wieder zu fassen, und sah in den Spiegel. Ihre Hände zitterten, als sie den Lippenstift nachzog.
    "Nein! Ich lasse mir von dem Mistkerl nicht auch noch dieses Konzert nehmen." murmelte sie. "Außerdem habe ich morgen mein Interview mit Sean Dennehy. Nein, Catherine, du läufst jetzt nicht weg!" ermahnte sie sich selbst.
    Innerlich trotzdem noch immer zitternd und mit klopfendem Herzen kehrte sie zurück und nahm im Konzertsaal ihren Platz ein.
     
    Rauschender Applaus brandete auf, als Sean heraustrat und am Orchester vorbei nach vorn auf die Bühne schritt. Er mußte sich mehrmals verneigen, bevor Stille eintrat, noch unterbrochen von kurzem Husten und Räuspern, mit dem nervöse Naturen im Auditorium sich auf ihre Lautlosigkeit während der Darbietung vorbereiteten. Simon hob den Taktstock, und nach einem Moment gespannter Stille setzte das Orchester ein. Sean konzentrierte sich, fühlte sich durchdrungen von den Klängen ringsherum, spürte jenes Anwachsen innerer Spannung unmittelbar vor seinem Einsatz.
    Sein Spiel war perfekt, vollkommen klar und rein. Die technisch saubere Intonation, die Mühelosigkeit des Ansatzes, das war nur der eine Teil seines Spiels. Ebenso begeisternd waren sein Schwung, die unnachahmliche plastische Lebendigkeit, die er jedem Stück durch sein Spiel verlieh. Niemand vereinte technische Perfektion und feinfühlige musikalische Interpretation so leicht und beschwingt wie er es tat.
    Sean fühlte die Musik, wurde eins mit ihr. Atem, Ton, Klang, Flöte und Flötist, es gab keinen Unterschied, keine Trennung. Er dachte nicht an Noten, er war der Klang, er war das Instrument. Die Töne perlten empor, webten mit den Klängen des Orchesters ein filigranes akustisches Kunstwerk.
    Der letzte Ton von Mozarts zweitem Flötenkonzert war kaum verhallt, als rauschender Applaus einsetzte. Selbst musikalische Laien, denen sich die Feinheiten einer Darbietung nicht so leicht erschlossen, spürten die Meisterlichkeit von Seans Spiel und wurden mitgerissen vom Enthusiasmus der Kenner. Es gab erste Bravo-Rufe schon nach diesem Stück.
    Sean verneigte sich tief. Nach dem Spiel in allergrößter Konzentration war es ihm, als sei er erwacht. So intensiv die Zuhörer die leidenschaftliche Perfektion seiner Darbietung empfanden, so deutlich verspürte Sean nun die Freude, die er diesen Menschen mit seinem Spiel bereitete. Hier stand er, geblendet vom gleißenden Licht der Scheinwerfer, die ihn die Gesichter der Menge nicht erkennen ließen, und ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte ihn.
    Die spontane Verbindung, die das erste Stück zwischen ihm und den Zuhörern geschaffen hatte, wurde noch intensiver. Nach dem Flötenkonzert Nr. 8 von Francois Devienne wollte der Applaus nicht mehr enden, ging mehrfach in ein rhythmisches Klatschen des ganzen Saales über, das immer schneller wurde, bis es in wieder heftigem Applaus endete, um abermals zu beginnen. Sean bemühte sich minutenlang erfolglos, mittels Gesten den Saal wieder zu beruhigen. Er und Simon deuteten schließlich wiederholt auf die Armbanduhr an ihrem hoch erhobenen linken Arm, um die Konzertpause zu beginnen. Noch immer von Applaus begleitet verließen sie die Bühne.
    Sean ließ sich auf den Stuhl in der winzigen Garderobe fallen. Er spürte die Vibrationen der begeisterten Menschen im Gebäude beinahe körperlich und fühlte sich in Hochstimmung.
    "Ich wußte ja, es würde ein großartiges Konzert werden." dachte er zufrieden.
     
    Die Luft im Saal war wie elektrisiert, als Sean wieder auf die Bühne trat. Nach der Pause war die Flötensonate op.50 von Johann Nepomuk Hummel der ideale Programmpunkt. Die hochgesteckten Erwartungen der Zuhörer wurden nicht enttäuscht. Wogen der Begeisterung schlugen ihm entgegen, nachdem er das abschließende Flötenkonzert op.283 von Carl Heinrich Reinecke beendet hatte. Der Saal tobte. Blumen wurden in Richtung der Bühne geworfen, und die Episoden rhythmischen Klatschens wurden von stürmischen "Zu-ga-be! Zu-ga-be!"-Rufen begleitet.
    Wie mit Simon vereinbart, spielte Sean ein von Bachs Flötensonaten. Er fühlte sich erschöpft und euphorisch zugleich. Die Konzentration war kräftezehrend, doch sein Spiel ließ zur
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