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Die Favoritin

Titel: Die Favoritin
Autoren: Davenat Colette
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nicht mehr gereinigt. Früher, wenn der Inka diese Straße zog, wären die Aufseher für das mindeste Unkraut zwischen dem Pflaster gehängt worden, aber ›Pachamcutin!‹, die Welt ändert sich, wie es bei uns heißt.
    Von Zeit zu Zeit mußten wir mit dem Saum der Chaussee fürliebnehmen, um den Sänften Platz zu machen, von denen ich allerdings nur die federgeschmückten Baldachine über den Köpfen der Diener aufragen sah, die ringsum wimmelten wie Fliegenschwärme. Ich stellte mir vor, was es für ein Genuß sein müßte, so behaglich zurückgelehnt im Rhythmus der Träger dahinzuschaukeln. Mir wurde ganz sehnsüchtig zumute, und ich zog mein Bein nach.
    Als die Straße eine schroffe Bergflanke umrundete, hielt eine der Sänften an einer vorgelagerten Plattform, von der die Reisenden die Landschaft bewundern können. Ein Mann stieg aus. Da ich mich unterhalb befand, sah ich ihn deutlich. Anstatt einer Frisur trug er einen Wedel, seine Tunika war mit grünen und blauen Federn gesäumt, Gold blinkte an seinen Ohren und auf seiner Brust. Ich guckte mir die Augen nach diesen gelben Feuern aus, aber was mich bei seinem Anblick am stärksten beeindruckte, war die Miene, diese unnachahmliche Miene, die nur der Reichtum hat und der ich noch nie begegnet war. Außerdem war der Mann schön, er hatte sehr helle Haut, so wie ich.
    »Schau«, sagte mein Vater zu meiner Mutter, »das ist ein Chachapuya! Einer von denen, gegen die wir früher gekämpft haben. Die Chachapuyas sind sehr wilde Krieger! Ich habe ihn an seinem Wedel erkannt, daran erkennt man sie alle. Der da ist bestimmt ein großer Häuptling, ein Curaca, der zum Fest des Feldbaus nach Cuzco geht.«
    Dieser Fürst ein Curaca! Wie armselig mir dagegen unser Curaca jetzt erschien, der nach dem unsichtbaren, aber allgegenwärtigen Inka für mich bis dahin doch die kaiserliche Macht dargestellt hatte! Ich verharrte in dumpfem Staunen und Grübeln, da ich auf einmal entdeckte, daß es noch andere Welten gab als unsere.
    Gegen Abend erreichten wir den Apurimac.
    Ich brauche Euch die Herrlichkeit unseres heiligen Flusses nicht zu beschreiben, Pater Juan, Ihr habt ihn selbst überschritten, als Ihr nach Cuzco kamt. Aber stellt Euch vor, wie ein Kind, das nur seinen bescheidenen Bach kennt, über den es nach Belieben hin und her springen kann, auf diese gewaltigen Wassermassen starrt, die zwischen zwei steilen Felswänden donnernd hervorbrechen. Das Getöse entsetzte mich, mir brauste der Kopf, beinahe hätte ich vergessen, mich vor der Huaca, die die Brücke beschützte, auf die Erde zu werfen – das nämlich ist unsere Art niederzuknien. Tatsächlich sind es ja zwei Brücken.
    Die vornehmen Reisenden vor uns überquerten die breitere, bequemere, wir tasteten uns auf der anderen voran, hinter einer Mannschaft von Arbeitern, die zur Straßenreinigung bestellt waren. An den Umhang meines Vaters geklammert, schlotterte ich wie ein junger Vogel vor dem ersten Flug. Sehr zu Unrecht. Denn schließlich brachten die Spanier es sogar fertig, über diese schmalen Hängebrücken, die den Fluß fast neunzig Fuß weit überspannen, ihre Kavallerie zu führen. Allerdings überquerten zu Beginn der Conquista viele sie noch kriechend …
    Es dunkelte. Wir erblickten die Lichter eines Tampu. Fleischdüfte kitzelten meine Nase. Fleisch war für uns etwas Seltenes. Wenn der Gouverneur unserer Provinz welches austeilen ließ, salzten wir es und trockneten es an unserer guten Bergluft, und nur zu besonderen Gelegenheiten durfte davon gegessen werden, damit es bis zur nächsten Verteilung reichte.
    Wir machten bei dem Tampu keine Rast. Ich lernte, daß die öffentlichen Herbergen längs der ganzen Nan Cuna, vom Süden bis zum Norden des Reiches, den höheren Standespersonen vorbehalten waren. Also schlang ich meinen Maisbrei hinunter und rollte mich am Straßenrand, dicht an meine Mutter geschmiegt, zum Schlaf.
    Am vierten Tag morgens langten wir vor Cuzco an. Wie ich es von meinen Eltern sah, warf ich mich in Richtung der Sonne nieder und küßte die Erde.
    Der Handwerker, bei dem der Curaca die Ariballe bestellt hatte, wohnte in einem Vorort …
    Was eine Ariballe ist? Ein großes bauchiges Gefäß mit spitz zulaufendem Boden, das zum Transport von Flüssigkeiten dient. Es hat seitlich zwei Ösen, durch die ein Gurt läuft, mit dessen Hilfe der Träger es sich auf den Rücken bindet.
    Der Handwerker sagte, das Gefäß sei erst anderntags fertig.
    Da am selben Tag das Fest des Feldbaus
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