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Die Favoritin

Titel: Die Favoritin
Autoren: Davenat Colette
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Gebirgskamm zu begleiten. Als sie die grasbestandene Ebene erreichten, hielt Juan de Mendoza inne und wühlte in seinem kärglichen Reisesack. Er zog ein Päckchen hervor, das mit einem schwarzen Faden zugebunden war.
    »Señora, Ihr habt mich gelehrt, daß es bei Euch Brauch ist, zur Stunde des Abschieds ein Geschenk zu überreichen. Ich bitte Euch, dieses hier anzunehmen. Es sind Aufzeichnungen … Ich habe die Gewohnheit, meine Eindrücke und Überlegungen niederzuschreiben. Meine Zeilen beginnen mit dem ersten Tag unserer Begegnung in Cuzco, die letzten sind von gestern. Lest sie, wenn ich weit fort bin.«
    »Ich bin sehr gerührt, Pater Juan. Aber werdet Ihr diese Aufzeichnungen nicht vermissen?«
    »Ich habe nicht die Absicht, sie zu verwenden. Eure Geheimnisse, Señora, gehören Euch. Ihr habt sie mir anvertraut, ich gebe sie Euch wieder. Das Urteil steht bei Gott! Ihr habt Euch mir frei bekannt, ich schulde Euch die gleiche Offenheit. Sagen wir, es ist ein Austausch der Bekenntnisse. Ihr erfahrt daraus mehr über mich und … vielleicht auch über Euch.«
    Sie lächelte.
    »Pater Juan, ich danke Euch, und ich verspreche Euch, Eure Aufzeichnungen zu lesen … Ich habe auch ein Geschenk für Euch.«
    Sie rief ein paar Worte.
    Drei kauernde Gestalten zeigten sich auf der Höhe neben dem Gipfel. Wahrscheinlich die Führer, die ihn zurückgeleiten sollten. Zwei erhoben sich. Einer legte dem dritten die Hand auf den Kopf. Der sprang auf und kam den Hang herab. Es war ein Halbwüchsiger, klein, untersetzt. Seine Augen richteten sich fragend auf Asarpay. Sie blickten sanftmütig, ängstlich.
    »Pater Juan, ich stelle Euch Lliasuy Huana, das heißt ›Wildente‹, vor. Als er noch klein war, wurde sein Vater zur Mita, zur Zwangsarbeit, befohlen. Der Erntemonat nahte. Der Vater weigerte sich, sein Feld zu verlassen. Eure Leute ketteten ihn mit anderen Aufsässigen zusammen. Der Junge folgte ihnen mit seiner Mutter. Sie war schwanger und zart. Sie überstand die Reise nicht. Vater und Sohn kamen nach Potosi. Der Vater wurde sofort in die Minen geschickt. Die Arbeit dauert fünf Tage hintereinander, ohne jede Pause, in einer Mannschaft zu dritt. Der Junge half. Um in die Stollen zu gelangen, benutzt man Leitern. Eines Nachts stürzte die Leiter um, der Vater brach sich das Genick. Der Kleine kam davon, aber die Angst, der Schock, die Erschütterung … er ist taub geworden und gibt seitdem keinen Laut mehr von sich. Er ist aus Potosi geflohen. Ein Spanier las ihn am Straßenrand auf und steckte ihn in eine Weberei. Mit Peitschenhieben kann man sich immer verständlich machen! Der Junge floh erneut. Einer von meinen Leuten fand ihn halb verhungert, ein Bündel Haut und Knochen, in einem Straßengraben. Man brachte ihn mir nach Cuzco, und ich schickte ihn hierher. Pater Juan, seht dieses Kind: es ist unser Volk, das, was die Spanier aus ihm gemacht haben. Unser Volk hat wie dieses Kind Gehör und Sprache verloren. Sicher, es bewegt sich, wie Eure Landsleute wollen, aber für ihre Lehren bleibt es taub. All das, was es gelernt hat zu achten, zu verehren und anzubeten, alles, woraus es Jahrhunderte lang Lebenslust, Glauben und Kraft geschöpft hat, hält es tief in sich verschlossen. Es ist sein geheimer Schatz, seine Vergangenheit, seine Zukunft, das Erbe, das die Väter den Söhnen weitergeben und immer weitergeben werden, und nie wird es den Euren gelingen, ihnen das zu rauben! Lliasuy Huana ist ein guter Junge, er kann Mais und Quinua zubereiten, Vögel mit seiner Schleuder erlegen, ein Pferd versorgen. Unterwegs ist er unermüdlich. Er ißt wenig und liest die Worte von den Lippen ab. Nehmt ihn, Pater Juan, ich übergebe ihn Euch, er wird Euch ein treuer Diener sein – aber auch Euer Gedächtnis.«
     

*        Es sei daran erinnert, daß das Wort Inka nur für den Kaiser, den Sohn der Sonne, und für diejenigen galt, die seinem Geschlecht angehörten, mit Ausnahme einiger Provinzfürsten, die man ›Inka durch Privileg‹ nannte.
    * Die spanische Meile maß 5.572 Meter.
     
    *        Als die spanischen Eroberer von Panama südwärts zogen, kamen sie an einen Fluß, der ›Biru‹ hieß. Irrtümlich hielten sie diesen Namen für den der jenseits liegenden fruchtbaren Gebiete, die ihnen die Eingeborenen zeigten, und so entstand der Name ›Viru‹ oder ›Peru‹ für das Inkareich.
     
    * Atahuallpas Lösegeld bestand aus einer Menge Gold, die einen 22 Fuß langen und 17 Fuß breiten Raum bis zu
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