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Die Favoritin

Titel: Die Favoritin
Autoren: Davenat Colette
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wie er nun erkannte.
    Er nahm seinen Hut ab, trocknete sich die Stirn mit einem Taschentuch und seufzte bei dem Gedanken, den er sich zugleich zum Vorwurf machte, daß man trotz noch so guten Willens nie wirklich bereit ist zu sterben. Es hat etwas unleugbar Sinnwidriges, gerade in dem Moment aus dem Leben zu scheiden, da man entdeckt, wie gut die einfachen Dinge sind, und da man anfängt, die Menschen nicht nur um Gottes, sondern um ihrer selbst willen zu lieben.
    Als er den Kopf hob, war die Sänfte verschwunden, vom Schatten des Gipfels verschluckt, und die Wand zu seiner Linken wich einer felsübersäten Hochebene, deren zerklüftete Grate bis in weite Fernen wogten.
    Solch schroffer Wechsel des Horizonts verwunderte Juan de Mendoza nicht mehr. Was ihn aber verblüffte, als er den Pfad weiterging, war der Blick auf eine große Ansammlung von Strohdächern unterhalb des Gipfels, auf rechtwinklige Gassen, freie Plätze und begrünte Anlagen, kurz, auf das wohlgeordnete Ganze einer bewohnten und blühenden Stadt, nur daß diese hier nahezu am Himmelssaum lag.
    Über eine Folge von Treppen und Absätzen stieg man hinunter. Auf einem Absatz ragte aus dem Gras wie die Klinge eines Erzengels ein riesenhafter Stein empor, glatt, geschliffen, glänzend, und bei ihm mündete ein ganzes Netz aufwärts führender Treppen, die von einem großen Gebäude am Rand der Stadt ausgingen. Die goldenen Platten an den Mauern bezeichneten einen Tempel.
    Die Sänfte hielt. Die Behänge öffneten sich, und Asarpay stieg aus. Sie warf sich vor dem Stein zu Boden, legte Weihgaben nieder. Mendoza sah ihr zu, so beeindruckt von ihren anmutigen Bewegungen, daß er darüber deren barbarische Bedeutung vergaß.
    Ein bunter Strom von Indios hatte sich am Fuß der Treppen gesammelt.
    Als Asarpay aufstand, teilte sich die Menge in zwei Reihen, hier die Männer, dort die Frauen, sie kamen heraufgestiegen, einer nach dem anderen trat vor und küßte ihre Hände und den Saum ihrer Tunika. Da war alles vertreten, Fürstenmäntel unter scharlachroten Baldachinen, seidenfeine Llicllas wie auch bäuerliche Kleider, diese in der Mehrzahl, und die Männer trugen unterschiedliche Kopfbedeckungen, Turbane, Mützen, Lederbänder, Wolltressen, Schilfreifen, was bezeugte, wie Mendoza aus seinem neu erworbenen Wissen schloß, daß die Menschen hier den verschiedensten Provinzen entstammten. Nachdem Männer und Frauen die Begrüßung beendet hatten, traten sie beiseite und begannen ihn zu betrachten. Die Freude erlosch, die Feindseligkeit war offenkundig.
    Von nahem sah man unter den Strohdächern langgestreckte Fassaden aus behauenem Stein, und man ahnte hinter der erhabenen Kargheit der Bauten blühende Innenhöfe und Wasserspiele.
    Ein Palast aus rosa Granit beherrschte den Platz, eine feierliche Treppe, angelegt wie ein entfalteter Fächer, führte hinauf, und längs der Stufen fiel unter Orchideenbüschen glitzernd helles Wasser von Becken zu Becken herab. Das Innere des Palastes leuchtete golden. Kein Mobiliar. Nur Matten, Behänge, und in den Nischen Statuen oder mit Gemmen gezierte Gefäße. Die Decke war hoch, ein Balkengeflecht, das einen zarten Duft verströmte.
    Asarpay zog sich zurück. Diener brachten das Abendessen. Juan de Mendoza wartete. Sie kam wieder, ernst, ziemlich wortkarg. Sie aßen. Er zwang sich dazu aus Höflichkeit.
    Während der Nachspeise – süßer Honig und grüne Guaven mit weißem, saftigem Fleisch, denen er gerne zusprach, denn er hatte großen Durst – kam ein kleines Geschöpf unter einem faltigen Überwurf getrippelt. Das grobe, von den Jahren gefurchte Gesicht war alt.
    Asarpay sprach in knappem Ton ein paar Worte.
    »Qhora«, sagte sie. »Ich habe Euch soviel von ihr erzählt, ich wollte, daß Ihr sie kennenlernt.«
    Qhora grüßte, den Blick am Boden, und verschwand. »Ich fürchte, ich habe ihr nicht sehr gefallen«, sagte Juan de Mendoza.
    »Sie verabscheut weiße Männer, sie hat ihre Gründe. Alle hier haben wir unsere Gründe … Pater Juan, bitte, entschuldigt mich, ich habe Anordnungen zu treffen. Geht und ruht Euch aus. Wir sprechen uns morgen wieder.«
    »Ist nicht schon alles gesagt, Señora?«
    »Nein. Das wißt Ihr sehr gut.«
    Ein Diener führte ihn zu einem bescheidenen Haus neben dem Palast.
    Sowie er das Schlafgemach betrat, meinte er zu ersticken. War es der enge Raum, diese kahlen vier Wände, die sich um ihn schlossen? Eine Matte bedeckte den Fußboden, in einer Nische stapelten sich Decken. Dort
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