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Die Favoritin

Titel: Die Favoritin
Autoren: Davenat Colette
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stand auch eine Schale mit Früchten und in einer anderen ein Krug mit Chicha. Er erfrischte sich am Becken und streckte sich auf die Matte. Doch dann erhob er sich wieder, er fand, er brauche ein wenig Luft. Er war kaum zur Tür hinaus, als ein Mann, den er nicht kannte, ihm durch Gesten bedeutete, er solle wieder hineingehen.
    Um seiner Erregung Herr zu werden, betete er mehrere Rosenkränze und schlief vor Erschöpfung auf seinem Gebetbuch ein.
    Morgens weckte ihn ein Diener mit einer heißen Suppe, einer dünnen Quinuabrühe, und ein paar dünnen Scheiben von gedörrtem Lamafleisch. Er fror, also schlang er die Suppe hinunter. Sie schmeckte gut; sein Gaumen war inzwischen abgehärtet genug, das Feuer der Chinchi Uchu zu ertragen, der teuflischen roten Pfefferschoten, ohne die es kein Gericht gab.
    Nach der kleinen Mahlzeit begann erneut das Warten.
    Durch eine Maueröffnung in der Höhe des Gebälks fiel matte Helligkeit. Die Sekunden dehnten sich und fielen mit der entnervenden Langsamkeit der Wassertropfen, die das Brunnenbecken speisten. Was mochte sie tun? Gab sie Anweisungen, wie sein Tod im einzelnen ausgeführt werden sollte? Und welcher Tod? Durch den Strick, durch Steinigung, durch Schläge, in einer von Giftschlangen wimmelnden Grube, oder gab es noch gräßlichere Todesqualen, die sie erwähnt, die er aber nicht behalten hatte, weil er sie sich nicht hatte vorstellen wollen …? Im Grunde war es das, was ihn quälte, dachte Mendoza mit düsterer Ironie: zu sterben ohne Stil, ohne Beistand, wie ein Bettler!
    Und er haßte sich dafür.
    Sie erschien.
    »Gehen wir, Pater Juan.«
    Er legte sich seinen Rosenkranz um den Hals, nahm sein Gebetbuch in eine Hand, in die andere sein Kruzifix. Sie ging ihm, dem Gipfel den Rücken kehrend, voran zum Stadtrand. Es wehte ein starker Wind, kleine Staubsäulen wirbelten über das Pflaster, Frauen sangen, schwarze Vögel kreisten, Wasser murmelten, ein paar Kinder gingen mit der Würde von Herren einher, Asarpay strich ihnen im Vorbeigehen über den Kopf.
    Er hörte ihre schöne Stimme.
    »Ihr seid der erste weiße Mann, und der letzte, der durch diese Stadt geht. Sie wurde auf Befehl des großen Inka Pachacutec erbaut. Zuerst war es nur eine große Festung. Dann wuchs die Stadt und wurde, so wie Mancos Stadt, eine Zuflucht unserer Inkas. Als das Reich seine gewaltigen Ausmaße erlangte, wurde sie mehr und mehr aufgegeben und starb. Mancos Söhne erteilten mir das Recht, ihr neues Leben zu verleihen. Ich kann sagen, es ist meine Stadt. Priester und Fürsten halfen mir. Die Spanier trugen das Ihre bei: so viele Männer und Frauen waren glücklich, ihnen zu entrinnen und sich zu uns flüchten zu können.«
    Sie trat vor eine niedrige Steinbrüstung, breit wie ein Wehrgang. Jenseits waren, so weit das Auge reichte, nur Berge.
    »Hier endet die eigentliche Stadt, aber sie strahlt nach allen Seiten aus, wohin man auch blickt … Tretet näher, Pater Juan, habt keine Angst, der freie Raum wird Euch nicht verschlingen! Seht dort drüben an jedem Hang die Hunderte Feldbauterrassen und Dörfer. Alles gedeiht, Mais und Baumwolle, Koka, Kartoffeln, Bohnen, Eierfrüchte und Süßbataten … Viele Dorfgemeinschaften, auch meine Ayllu, haben sich hier neu angesiedelt. An diesem gesegneten Ort genügen wir einander und leben, wie wir gelebt haben, bevor Eure Landsleute sogar unsere Atemluft verpestet haben … Kommt, kehren wir zurück zum Palast.«
    ***
    Die Zwergin brachte Chicha und zwei Becher, kleine Wunderwerke aus lackiertem Holz in Ocker, Rostrot und Braun mit goldenen Tupfen. Asarpay füllte sie und streckte den einen Juan de Mendoza hin.
    »Als erstes muß ich Euch sagen, Pater Juan, daß ich nicht zurückgehe nach Cuzco. Meine Reise ist hier zu Ende. Seit Tupac Amaru, Mancos dritter Sohn, der ihm nachfolgte, und der beste, gefangen und enthauptet worden ist, steht mein Entschluß fest. Ich hatte davon geträumt, daß zwischen unseren weißen und unseren einstigen Herren ein Gleichgewicht möglich wäre, aber jetzt ist es offenkundig, daß der neue Vizekönig, Don Francisco de Toledo, aus unserem Gedächtnis jede Spur dessen zu tilgen gedenkt, was dieses Reich einmal war. Der Spanier braucht keinen Inka mehr, wie in den Anfangszeiten, um unsere Reichtümer in seine Truhen zu leiten, er ist jetzt hier zu Hause, wir sind es nicht mehr! Was also hätte ich dort unten noch zu tun, das ich nicht von hier oben tun könnte? Mit diesem Entschluß im Kopf habe ich Euch in Cuzco
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